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Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi

Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi

Titel: Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xanthippe Verlag
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speichelbefeuchteten Finger das widerspenstige Haar hinter das linke Ohr. Dann räuspert er sich und meint, er sei bereit für die nächste Befragung.
    Sir Butterworth blättert in den Unterlagen und hält das Monokel ins rechte Auge geklemmt. Leise klopft es.
    Amalia öffnet die Tür und bittet Giovanna Dellatorre herein. Diese schlüpft durch den Türspalt, ganz in Schwarz gekleidet. Sie hat sich ein Seidenkleid von der Signora ausgeliehen, denkt Amalia. Die beiden könnten tatsächlich als Schwestern durchgehen. Aber natürlich ist Giovanna sehr viel jünger. Sie blickt in dieses blutjunge und doch fast erwachsene Frauengesicht, die ebenmässigen Züge, die feine, aber doch charakteristische Nase, schwarze Augen, die einen durchbohren. Ihr Ausdruck, als sie Amalia jetzt anblickt, zeigt eine Mischung aus Furcht und, ja, Neugier.
    «Kommen Sie Giovanna, es tut Ihnen keiner etwas», empfängt sie Amalia.
    Zögerlich trippelt die Angesprochene ein wenig weiter ins Zimmer. Sie senkt den Blick und wartet ab. Amalia sieht zu, wie die beiden Männer das junge Mädchen mustern und sichtlich Gefallen finden an dem hübschen Geschöpf. Niemand spricht. Kamil macht den ersten Schritt.
    «Sie heissen?»
    «Giovanna Dellatorre.»
    «Geboren?»
    «18. Juni 1846.»
    «Gerade achtzehn geworden.»
    « Oui .»
    «Wo?»
    «Wie meinen Sie?»
    «Wo sind Sie geboren?»
    «Chamonix. Meine Eltern leben in Chamonix.»
    «Sie kennen die Peffirellis?»
    « Oui, Monsieur , natürlich ich kenne sie, mon père, sa sœur , Schwester, ist meine Mutter. Sie leben aber in Como. Isch üte die Kinder.»
    Sir Butterworth pufft Kamil in die Seite und bedeutet ihm, er solle schreiben. Dieser zuckt zusammen, nimmt die Feder, taucht sie behutsam ins Tintenfass, um anschliessend den Namen der neuen Zeugin zu notieren. Geduldig malt Kamil und lächelt. Wie man Giovanna schreibt, weiss er genau. Er hat italienische Vorfahren, da hiess auch mal eine Frau Giovanna. Dann «DE LA TORE» und «SCHAMONI». So!
    Sir Butterworth schaut kurz über seine Schulter.
    «X!»
    «Hä?»
    «Da gehört ein ‹X› an den Schluss, Chamonix, dafür streichen Sie das ‹S› am Anfang.»
    «Wieso? Heisst doch auch nicht Chamonigs. Ha! So weit kommt es noch, he he.» Kamil amüsiert sich über Sir Butterworths Idee.
    Der gibt auf, notiert etwas in sein kleines schwarzes Büchlein und fährt mit der nächsten Frage fort:
    «So so, Sie leben also in Chamonix? Und was tun Sie dort?»
    Kamil schüttelt den Kopf, eine solche Frage! Was tut eine junge Frau bei sich zu Hause?
    «Ich masche chez mon père le bureau , das Büro, Monsieur.»
    Sir Butterworth lächelt, ihm gefällt der Akzent der jungen Dame. Er kann ein wenig Französisch und ermutigt Sie jetzt:
    «N’ayez pas peur, ma chère, on a besoin de votre témoinage. N’est-ce pas?» 10
    Er grinst ein wenig, als er die Zeigefinger in die Seitentäschchen seines Gilets steckt.
    Amalia schaltet sich ein und erklärt den Herren, dass Giovanna mit Onkel und Tante aus Como angereist sei.
    «Aber das kann sie uns doch selber sagen, sie hat einen solch entzückenden Akzent», gibt Sir Butterworth zurück, und für einmal ist auch Kamil gleicher Meinung.
    Giovanna nickt eifrig.
    « Bon . Mein Vater ist montagnard . Er hat eine bureau de guides , wie sagt man, er mietet aus Bergführer. Ich elfe ihm dort. Masche Buchführung.»
    «Kannst du denn schreiben?», staunt Kamil.
    Giovanna senkt wieder den Blick und antwortet, sie sei zur Schule gegangen. Ihr Vater wollte sie im Büro anstellen und, ja, deshalb könne sie schreiben und natürlich auch lesen.
    «Euer Büro vermittelt Bergführer an Bergsteiger.»
    Giovanna nickt.
    «Wie viele Bergführer?»
    « Mon père , er geht nur noch seltener, er ist alter. Mehr als sechzig. Und dann alle Männer im Dorf, ben , fast alle. Alle, die laufen können und keine Angst aben.»
    «Giovanna», Sir Butterworth versucht es mit seinem väterlichsten Tonfall, «wir haben gehört, dass es in Chamonix Leute gibt, die mit Professor James McGregor, sagen wir einmal, nicht ganz einer Meinung sind.»
    Giovanna starrt auf ihre Hände, die ein Taschentuch halten. Sie zerrt daran und zuckt fast unsichtbar mit den Schultern.
    «Kennen Sie den Professor McGregor?»
    «Ja, er war ein paar Mal bei uns im Dorf. Aber gesprochen abe isch ihm nie.»
    Mehr ist aus der jungen Dame nicht herauszubringen. Sie schweigt. Es ist das Schweigen eines jungen Mädchens, das nicht mehr alles sorgenfrei herausplappert wie ein

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