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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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Gute und drehte mich, mit einem Ruck, nach vorne um. Ein Wunsch begleitet mich bis heute: in vielleicht zehn, zwölf Jahren nach Kabul zu fliegen, um mir die Entwicklung dieser Stadt anzusehen. Ohne Angst zu haben oder Gefahr zu laufen, entführt oder das Opfer eines Anschlags zu werden.
    Das Land und dessen Bewohner faszinieren mich bis heute. Der Übergang der Jahreszeiten von Sommer auf Winter ohne Herbst oder Frühling. An einem Tag ist es noch weit unter null Grad kalt, am nächsten Tag ist strahlender Sonnenschein mit mehr als zwanzig Grad Celsius. Oder die monotone, einfarbige Gerölllandschaft, die wie die Bilder vom Mond aussieht. Nur dass man in Afghanistan im nächsten Tal den Garten Eden vor Augen hatte. Saftige Wiesen, ein munter plätschernder Bach, der durch ein malerisches Bergdorf fließt. Dazu die duld- und genügsamen Menschen, die in den letzten Jahrzehnten viel Leid erfahren hatten und doch mit einem unbändigen Kampfes- und Überlebenswillen allen Widrigkeiten von russischen Truppen bis zu den Taliban getrotzt hatten. All diese Eindrücke hatten mich gefangen genommen. Und als totaler Gegensatz dazu die Grausamkeiten, die hier begangen wurden und begangen werden, gegen das eigene Volk und gegen die ausländischen Truppen.
    Ich versuchte, diese ganzen Eindrücke zu sortieren, als mir plötzlich etwas ganz anderes bewusst wurde: Ich hatte Angst davor, zurück in den normalen deutschen Alltag gestoßen zu werden. Das war es, was mich gerade am allermeisten bedrückte. Ich nahm mir vor, mich nach meiner Rückkehr sehr genau zu beobachten. Ich musste aufpassen, dass ich nicht unweigerlich in ein tiefes schwarzes Loch fiel und davon verschlungen wurde. Besser wäre es, nach dem wohl unweigerlichen Fall sehr schnell auf der anderen Seite wieder hinauszuklettern. Mit diesem Vorsatz fühlte ich mich schon etwas besser und konnte den Rest der Fahrt genießen. Als wir kurz vor dem Eingang des amerikanischen Luftstützpunkts angelangt waren, überholten die Kommandojeeps den Bus. Ich guckte ihnen irritiert nach, hatte ich doch mit ihnen vereinbart, dass sie lediglich bis zu diesem Tor mitkommen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr für endlose Abschiedszeremonien. Als wir das Haupttor erreichten, standen rechts und links die beiden Jeeps der Niederländer. Meine Kameraden hatten sich davor aufgereiht und salutierten. Schon wieder diese verdammte Wimper im Auge. Auch ich salutierte ihnen mit tiefem Respekt. Ich entschied mich für den Blick nach vorn und drehte mich nicht mehr um.
    Ich setzte mich abseits von den anderen neben den Taxiway, um meine Ruhe zu haben. Doch bald waren Motorengeräusche aus der Luft zu hören. Ich sah auf und erblickte die C-160 Transall, die sich leicht schwankend im Anflug befand. Dann ging alles sehr schnell. Kurz nach der Landung öffnete sich das hintere Ladetor, und alle Passagiere, ungefähr vierzig Soldaten, tippelten im Gänsemarsch in dieses schwarze Loch. Weil ich gerne alleine sein wollte, suchte ich mir einen abgelegenen Platz im hinteren Teil der Transportmaschine und ließ mich kraftlos in den Sitz plumpsen. Dann schloss sich das Tor und wir rumpelten auf der unebenen Startbahn los. Als der Pilot die Nase der Transall hochzog, dachte ich wehmütig an die zurückliegende Zeit und an das, was vor mir lag.
    Ich fröstelte, war es doch im Heck der C-160 deutlich kühler als vorne oder in der Mitte, da die Turboprop-Motoren mit ihren heißen Abgasen diesen Bereich wärmten. Die vierzig Minuten bis nach Termez vergingen wie im Flug. Schon senkte der stählerne Vogel seine Nase. Unter uns zog die eintönige Gerölllandschaft dahin, es war kaum eine Veränderung oder ein Übergang von Afghanistan nach Usbekistan, wo der Luftstützpunkt lag, zu erkennen. Nach einer sanften Landung wurden wir direkt auf dem Rollfeld zu einem Airbus der Luftwaffe geführt, der schon bereitstand. Ich schritt die Gangway hoch, suchte mir einen Sitz am Fenster und lehnte mich mit geschlossenen Augen zurück.
     
    An den Flug zurück nach Köln-Mechernich kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern. Die meiste Zeit hing ich meinen Gedanken nach oder schlief. Nur an eine Sache kann ich mich entsinnen: an den Tomatensaft, den ich in rauen Mengen trank. Ich liebe nämlich Tomaten, die ich in den vergangenen Monaten schmerzlich vermisst hatte. Kein Wunder, dass ich einen wahren Heißhunger auf dieses Zeug hatte und den Getränkeservice weidlich nutzte. Nach ein paar Stunden Flugzeit war eine sehr

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