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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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starke Veränderung der Landschaft zu erkennen. Die sandfarbene Szenerie wurde abgelöst von einem wohltuenden satten Grün, und zwar durchgehend. Irgendwie erwachte ich wieder zum Leben bei diesem Anblick. Es waren die Farben, mit denen ich aufgewachsen war und auf die ich mich nun wie ein kleines Kind freute.
    Von Kabul aus hatte ich meinem Heimatbataillon die Landezeit durchgegeben. Mir war versprochen worden, dass mich jemand in Mechernich abholt. Das beruhigte mich etwas, denn ich hatte keine Ahnung, wie es nach meiner Landung weitergehen sollte. Kurz vor dem Einsatz hatte ich mich von meiner Frau getrennt. Da war nichts mehr zu kitten gewesen. Die Zeit von der Trennung bis zur Verlegung nach Kabul hatte ich in der Kaserne gewohnt. Ich hatte nichts: kein Zuhause, keine Möbel, wirklich nichts! Das schwarze Loch tat sich bedrohlicher und größer vor mir auf, als ich es mir vorgestellt hatte. Eins nach dem anderen, machte ich mir Mut. Ich habe schon ganz andere Dinge hingekriegt.
    Der Pilot gab durch, dass wir den deutschen Luftraum erreicht hatten. Neugierig blickte ich aus dem Fenster und sah das charakteristische Schachbrettmuster der Felder vorbeiziehen. Sechs Monate lang hatte ich so was nicht mehr gesehen, die Farbenvielfalt schlug mich in ihren Bann. Dann gingen wir auch schon in den Sinkflug.
    Nachdem sich die Tür des Flugzeugs geöffnet hatte, strömte mir sehr kühle und frische Luft entgegen. Ich schloss meine Augen und atmete diese herrlich frische Luft in vollen Zügen ein, tankte regelrecht meine Lungen mit ihr auf. Dann stiegen wir aus und wurden zu dem Ankunftsgebäude gefahren. Selbst im Bus zitterte ich vor Kälte, war ich doch die letzten Monate andere Temperaturen gewohnt. Neben und vor dem Gebäude des militärischen Flughafenbereichs standen eine Menge Angehörige der zurückkehrenden Soldaten. Es waren auch einige grüne Tupfer dazwischen zu sehen. Also hielt ich nach meinem Kameraden Sascha aus Oldenburg Ausschau und entdeckte ihn auch in dem Menschenpulk. Ich freute mich auf unser Wiedersehen. Sascha war während der Ausbildung zum Scharfschützen und der Vorauskräfte mein Buddy gewesen, und ich mag ihn sehr. Freudig stieg ich aus und ging direkt auf ihn zu. Suchend schaute er sich um und musterte die Neuankömmlinge. Ist der blind?, fragte ich mich. Ich bin keine zwei Meter von Sascha entfernt und er sieht mich nicht?
    Mir fiel urplötzlich ein, wie viel Gewicht ich in dem Einsatz verloren hatte und dass er mich womöglich nicht erkannte. Als ich dann direkt vor seiner Nase stand, entglitten ihm die Gesichtszüge und er fragte nur: »Achim?« Ich nickte stumm, dann umarmten wir uns. Seinem entsetzten Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass er mich tatsächlich nicht erkannt hatte. Mit siebzehn Kilogramm weniger auf den Rippen und der schlackernden Uniform war ich wirklich kaum wiederzuerkennen. Während wir auf das Gepäck warteten, sah ich mich immer wieder sichernd um. Eine alte Gewohnheit aus Kabul. Mensch, du bist zu Hause. Also hör auf mit dem Mist!, schalt ich mich selber.
    Aber so schnell kommt man nicht aus seiner Haut. Wir luden das Gepäck auf den olivgrünen VW-Bus und fuhren los, Richtung Oldenburg. Nur langsam entwickelte sich ein Gespräch zwischen Sascha und mir, aber eher über belangloses Zeug. Nach 182 Tagen in Afghanistan zog an meinem Fenster das erste Mal wieder die typisch deutsche Landschaft vorbei. Ich war fast verschreckt wegen der vielen Fahrzeuge auf der Straße. Unwillkürlich hielt ich mich am Haltegriff fest und wartete auf die unvermeidlichen Schlaglöcher. Als mich Sascha schräg von der Seite anschaute, wurde mir bewusst, wie unangemessen ich mich verhielt. Ich war wieder zu Hause! »Deutschland! Deutschland! Deutschland!«, war mein Mantra dieses Tages und noch vieler folgender, um es halbwegs in meinen Kopf zu bekommen.

Zurück in der fremd gewordenen Heimat
    An der ersten Autobahnraststätte schrie ich: »Anhalten!« Grinsend setzte Sascha den Blinker und fuhr ab. An der Essenstheke bestellte ich mir eine kleine Portion Pommes und eine Riesenportion Mayonnaise dazu. Darauf hatte ich Heißhunger. Zufrieden mampfte ich meine Fritten und sah mir fasziniert den Trubel um mich herum an. Am meisten irritierte mich, dass niemand eine Waffe trug. Auch die vielen unverschleierten Frauen ließen mich immer wieder verwundert aufblicken. Von einer Minute auf die andere kam ich mir vollkommen fehl am Platze vor. »Lass uns weiterfahren«, bat ich Sascha. Da

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