Endstation Kabul
dass ich sie im Lager nicht unbedingt brauchen würde. Aber ich hatte mich dermaßen an meine Ausrüstung gewöhnt und war so auf Sicherheit gepolt, dass ich echt erschüttert war. Also zettelte ich eine Diskussion an, ob ich nicht ausnahmsweise meine Waffen am Morgen meines Abflugtermins abgeben könne, wurde aber abgewürgt. Nein, auf keinen Fall, hieß es. Das wäre alles zu spät, und der Laufzettel wäre dann ja auch nicht komplett ausgefüllt.
Völlig deprimiert saß ich abends an der Bar in der »Snedder-Lounge« und wartete, dass meine Kameraden von ihrer Tour zurückkamen. Als mein »ehemaliges« Team, so nannte ich es in Gedanken schon, eintraf, versetzte es mir einen Stich, sie zu sehen. Ihnen fiel sofort auf, dass irgendwas mit mir nicht stimmte, dass etwas fehlte. Nämlich meine Waffen. Deprimiert erzählte ich ihnen, dass ich alles hatte abgeben müssen. Kurz entschlossen packten sie mich und schleiften mich zum Waffencontainer der KCT. Mein Teamführer schloss auf, machte eine einladende Handbewegung und sagte nur: »Bedien dich!« Meine Laune besserte sich merklich. Zeigte es mir doch noch einmal das Vertrauen, das diese Männer in der gemeinsamen Zeit zu mir entwickelt hatten. Der Abschied von ihnen würde mir echt schwerfallen.
Meinen letzten Tag, den 12. Oktober, verbrachte ich vollständig bei den Kommandos. Sie hatten bereits durchblicken lassen, dass sie eine »kleine« Abschiedsfeier für mich vorbereitet hatten. Da war es natürlich Ehrensache, die gesamte Nacht in der »Snedder-Lounge« mit ihnen zu verbringen und eine ordentliche Party zu feiern. Ich hatte allerdings eine Heidenangst vor meinen körperlichen Reaktionen, falls eine Abschiedsrede gehalten werden sollte. Dass es mir nicht ums Rotwerden wie bei meiner ersten Zusammenkunft mit den Jungs ging, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Ich wollte keinen sentimentalen Anfall kriegen, sondern einfach nur mit den wichtigsten Menschen der letzten drei Monate meines Lebens einen schönen Abend verbringen. Meine Gefühle an diesem Abend kann ich nicht in Worte fassen. Es war ein ständiges Hin- und Herschwanken zwischen der Freude auf Deutschland und meine Familie zu Hause und der Trauer, hier eine andere Familie zurückzulassen. Als der Chef der Kommandos dazukam und sich für eine Rede bereitstellte, wurde mir angst und bange. Er rekapitulierte meinen Einsatz von der ersten Minute in Kabul an – auch aus der Zeit, als ich noch im Stab in der OPZ der KMNB eingesetzt war. Offensichtlich hatte er sich alle Informationen aus dem Stab besorgt. Schon musste ich schlucken. Doch das war noch steigerungsfähig. Am Ende seiner Rede bat er mich nach vorne und überreichte mir ein Dankesschreiben der niederländischen KCT, das ich bei der ganzen Aufregung jetzt schlecht lesen konnte. Es ging ja auch schon weiter mit den Präsenten: Er gab mir noch den Coin, eine Münze mit dem Wappen der Einheit, der nur an Mitglieder übergeben wird. Das absolute Highlight war eine kleine silberne Statue, eine Figur eines Korpskommandosoldaten. Es stellte eine seltene und hohe Auszeichnung dar. Sämtliche Kameraden hatten diese Figur noch nie in den Fingern gehabt, geschweige denn eine verliehen bekommen, und strömten auf mich zu, um sie sich anzusehen. Ich war den Tränen nahe, und sprechen konnte ich erst recht nicht mehr. Eine Rede auf Englisch hatte ich mir zwar zurechtgelegt, bekam aber nun kein Wort heraus. Alle KCTler standen um mich herum, klopften mir auf die Schulter und schüttelte mir die Hände. Meine Blicke verschwammen immer mehr. Ich konnte nur noch nicken und »Danke« sagen, um dann mal kurz an die frische Luft zu flüchten. Als ich mir draußen eine Wimper entfernt hatte, die mir offensichtlich ins Auge geraten war, atmete ich tief durch und ging wieder hinein.
Eine Überraschung stand mir noch bevor, und zwar von meinem Team. Andrik versammelte seine Soldaten um sich und rief mich zu sich. Nicht schon wieder, dachte ich nur und versuchte, mich wenigstens diesmal am Riemen zu reißen, was mir aber nicht gelang. Wenigstens schwang er keine große Rede, sondern dankte mir im Namen des gesamten Teams für meine geleistete Arbeit und übergab mir ein kleines Päckchen. Als ich es mit zittrigen Fingern öffnete und den Inhalt erkannte, musste mir schon wieder die verdammte Wimper ins Auge geraten sein. Vor mir lag die russische Fallschirmjäger-Uhr, die ich damals auf dem Hinterhof-Basar gesehen, aber nicht gekauft hatte. Ich war unendlich gerührt,
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