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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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dass mir meine Kameraden einen Herzenswunsch von den Augen abgelesen und erfüllt hatten. Irgendwann, so plapperten sie wild durcheinander, hätten sie einen Trupp zu diesem Laden geschickt und die Uhr als Abschiedsgeschenk für mich gekauft. Schließlich legte mir der Teamführer noch sein T-Shirt mit dem Abzeichen und dem Logo der KCT auf das Päckchen obendrauf. Ich konnte nicht mehr. Vollbepackt nickte ich dankbar in die Runde, zu mehr war ich nicht mehr fähig.
    Eine tiefere Freundschaft zu einer Gruppe von Soldaten hatte ich noch nie empfunden und sollte ich auch nicht mehr erleben. Meine niederländischen Kameraden waren mir aufrichtig ans Herz gewachsen. Wir sind in diesen drei Monaten einen langen und steinigen Weg in diesem erstaunlichen, schönen und verwirrenden Land gegangen, hatten viel Schlimmes gesehen und erlebt, aber auch ebenso viel Gutes. Mich faszinierte diese Menschlichkeit, die tiefe Freundschaft, das Vertrauen und der Respekt, die diese Männer miteinander hegten und pflegten und die in etlichen Übungen und Einsätzen gewachsen waren. Leider war das für die Bundeswehr undenkbar. Durch die ständige Versetzung der Offiziere und Feldwebel herrscht eine hohe Fluktuation in den Einheiten, was für das Miteinander alles andere als optimal ist. Mit einer solchen Struktur und Personalpolitik war eine vernünftige Vertrauensbasis, wie ich sie bei den Niederländern erfahren durfte, leider nicht zu erreichen.
    Endlich bekam ich dann doch meinen Mund auf und dankte allen für das mir entgegengebrachte Vertrauen und die Kameradschaft. Dann feierten wir bis zum Morgengrauen weiter. Kurz vor der Dämmerung lag ich vor der »Snedder-Lounge« auf einer Sandsackstellung und sah mir den Sternenhimmel an. Schlafen konnte ich nicht mehr.
    Ursprünglich hatte der Bus zum Flughafen morgens um halb sechs starten sollen. Bereits am Vorabend hatte sich dieser Plan zerschlagen. Eine türkische Transportmaschine war im Anflug auf den KIA in circa 6000 Metern Höhe durch eine »Stinger«-Rakete beschossen worden. Der Pilot riss die Maschine fast in einen Sturzflug, um die Geschwindigkeit zu erhöhen. Gott sei Dank traf die Rakete das Flugzeug nicht. Nach diesem Zwischenfall wurde der KIA bis auf weiteres gesperrt. Eilig wurde ein Alternativplan erstellt. Nun sollten alle Ausreisenden und Heimaturlauber nach Bagram gebracht werden, um von dort mit der Transall C-160 nach Termez ausgeflogen zu werden. Mein Gepäck war sehr geschrumpft, hatte ich doch schon eine Menge Ausrüstung abgegeben. Andere, privat angeschaffte Sachen hatte ich an für mich wichtige Menschen verschenkt. So standen nur noch meine Kampftragetasche und mein Rucksack bereit. Nicht viel Gepäck für sechs Monate, dachte ich. Allerdings war mir in diesem Moment schon bewusst, dass ich außerdem eine Menge mehr »Gepäck« in meinem Kopf aus diesem Land mit nach Hause nahm.
    Kurz vor fünf stand ich auf und wollte mich leise auf den Weg zum Stabsgebäude machen, wo wir mit Bussen abgeholt werden sollten. Daraus wurde nichts. Als ich den Bereich der Kommandos verließ, stand tatsächlich mein KCT-Team gestiefelt und gespornt vor mir. Sie wollten mich begleiten, als »Ehreneskorte«. So saß ich zum letzten Mal mit dem Team 4.11 auf die Jeeps auf, um die paar Meter bis zum Stabsgebäude hinter mich zu bringen. Ein Feldwebel aus der Personalabteilung stand bereits vor dem Bus und hakte die Namen auf einer Liste ab. Auch Hauptmann Fiebig, der Chef der Aufklärungskompanie, stand dort und verabschiedete die Soldaten aus seinem Bereich. Auch mir hielt er die Hand hin und wünschte mir »Alles Gute«. Ich schlug ein und erwiderte »Hoffentlich auf Nimmerwiedersehen!«, drehte mich um und stieg ein.
    Schweigend fuhren wir aus dem Camp auf die Jalalabadroad, auf der sich bereits die ersten Händler mit ihren Eselskarren tummelten. Am Abzweig nach Norden Richtung Bagram schaute ich nach hinten und sah, dass die beiden Jeeps der Niederländer sich hinter den Bus gesetzt hatten. Die Jungs machten tatsächlich Ernst mit ihrer Eskorte. Während der gesamten Fahrt schwieg ich und grübelte vor mich hin. Ich warf einen letzten Blick zurück und sah den Moloch Kabul im Morgengrauen liegen. Im frühen Licht des beginnenden Tages sah die Stadt fast friedlich aus. Nach einem halben Jahr vor Ort wusste ich es besser und hoffte, dass den hier eingesetzten Soldaten das Schicksal der britischen Truppen im 19. Jahrhundert erspart bleibt. In Gedanken wünschte ich ihnen alles

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