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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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die wirklichen Mörder zu finden. Und Otto aus dem Knast zu holen.«
    »Und dafür«, klinkte sich Paul nun ein, »brauchen wir Ihre Hilfe. Herr Mansfeld hat leider kaum mit mir gesprochen. Er wirkt wie ein Mann, der an seinem Schmerz zerbrochen ist.«
    Grete nickte.
    »Aber er hat mir gesagt«, fuhr Paul fort, »der Hund sei bei Ihnen. Sie sollten ihn behalten.«
    Grete nickte erneut.
    »Wir müssen Herrn Mansfeld so schnell wie möglich aus dem Gefängnis holen.«
    »Aber Sie sagten doch, er ist noch bei der Polizei.«
    »Ja, das war er noch, als ich mit ihm gesprochen habe. Aber mittlerweile haben sie ihn vermutlich in die JVA überführt. Und dort …« Paul zögerte.
    »… geht man mit Kinderschändern auf eine ganz bestimmte Art um«, ergänzte Grete seinen Satz. »Ich bin alt, aber nicht weltfremd.«
    Ein Golden Retriever kam angetrabt und blieb neben Gretes Rollator stehen. Sunny fauchte wie eine Katze. Der Retriever trollte sich beleidigt.
    »Der Junge«, sagte Grete so leise, dass ich sie nur mit Mühe verstehen konnte, »war ein völlig verstörtes, gequältes kleines Wesen. Er trottete den Weg entlang, als ginge er zu seiner Hinrichtung.« Sie zog die Luft ein. »Mein Gott, so war es ja auch!« Nach einer Weile sprach sie weiter. »Ich wollte schon fragen: ›Wo ist denn deine Mama?‹, oder: ›Wo willst du hin?‹, da kroch Sunny unter Ottos Zaun durch. Der Junge sah ihn – und er war wie ausgewechselt. Ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus …« Sie brach ab. Zog mit steifen Fingern ein Taschentuch aus ihrer Weste und schnäuzte sich. »Verzeihung.«
    Sie räusperte sich ein paarmal, dann fuhr sie fort: »Es war, wenn Sie so wollen, Liebe auf den ersten Blick. Und von da an waren die beiden unzertrennlich. Otto hat den Jungen bei sich wohnen lassen. Ich habe ihm gesagt, das kannst du nicht machen, der wird gesucht – ich habe ja am nächsten Tag das Foto in der Zeitung gesehen – aber er hat nur gemeint: ›Den sucht keiner wirklich. Den will keiner. Der soll jetzt hier erst mal was verschnaufen. Dann sehen wir weiter.‹ In der Zeitung stand ja, der Kleine wäre ein Pflegekind und seine Pflegemutter tot. Also dachte ich, nun ja, vielleicht hat Otto recht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Es war unverantwortlich! Wir hätten sofort das Jugendamt verständigen müssen.«
    »Nein«, erwiderte ich, »das hätte nichts gebracht. Dann wäre er weggelaufen. Das Jugendamt hat ihn ja zu dieser Frau Grimme gebracht.«
    »Das kann man sich gar nicht vorstellen. Dass so etwas passieren kann!« Sie massierte sich das Knie. Ihre Finger waren gichtig, sah ich, und sie hatte offenbar Schmerzen. »Ich habe Marco das Fahrrad meiner Sarah geliehen, das ist meine Enkelin. Sie sind noch eine Woche auf Kreta, und ich dachte, der Kleine hätte eine Freude damit.« Sie lächelte. »Die hatte er auch. Otto hat ihm das Fahren beigebracht.«
    »Herr Mansfeld«, meldete sich Paul zu Wort, »hat mir gesagt: ›Jetzt habe ich zwei Kinder auf dem Gewissen.‹ Was könnte er damit gemeint haben?«
    »Hat er das so gesagt?« Sie schüttelte traurig den Kopf. »An seinem vierzigsten Geburtstag ist Otto mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn zu seinen Eltern nach Manderscheid gefahren. Manuel, sein Sohn, war am Vortag zehn geworden, und das wollten sie gemeinsam feiern. Haben sie auch. Otto hat zwei Glas Sekt und dann wohl noch ein Bier getrunken, es hat geschneit, die Straße war glatt, es war stockdunkel auf dem Heimweg … Manuel lag noch ein halbes Jahr im Koma. Dann ist er gestorben. Ottos Frau hatte ein Schädeltrauma und eine gebrochene Schulter, er selbst war nur leicht verletzt. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden. Er musste den Schuldienst quittieren … Und dann hat er sich auf den Weg gemacht. Er ist gegangen. Und nie mehr irgendwo angekommen. Bis ihm seine Schwester die Laube vererbt hat. Da hat man ihn irgendwie aufgespürt. Er ist gekommen, hat sich den Garten und das Häuschen angeschaut und ist geblieben.«
    Sie rieb sich erneut das Knie. »Ich muss jetzt nach Hause.«
    Paul stand auf und half ihr von dem kleinen Sitz hoch. »Frau Lehner, nur noch eins: Herr Mansfeld hat mir noch gesagt, der Hund könne nichts dafür. Es sei allein seine Schuld. Was meinte er damit?«
    Grete stützte sich auf den Rollator, sie sah aus, als würde sie nun mit heftigen Schmerzen kämpfen. Nach einer Weile sagte sie: »Das weiß

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