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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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in der Produktionsfirma in einer Arbeitsbesprechung, sagte er, ob es dringend sei? Ja, meinte ich trocken. Es war mir dringend.
    »Moment.«
    Ich hörte ihn etwas murmeln, dann Schritte und eine Tür.
    »Katja, was ist los, du klingst schrecklich?«
    »Es geht um Marco, den toten Jungen. Und um einen Mann, den sie zu Unrecht beschuldigen, er sei der Mörder.«
    »Aber …«
    »Martin, hör mir bitte einfach mal nur zu, ja? Ich muss mit dem Typen reden, mit dem du den Film über die Kinderprostitution in Kambodscha machst. Und zwar am besten jetzt sofort. Bitte.«
    »Sebastian ist hier. Warte, bleib dran.«
    Offenbar legte er das Handy irgendwo ab, ich hörte wieder Schritte und eine Tür. Nach einer Weile war er zurück.
    »Wir sind in der Gocher Straße. Wir werden noch circa eine Viertelstunde brauchen. Dann können wir bei dir sein.«
    »Danke. Danke, Martin!«
    Ich nutzte die Zeit, um Rosa und mich selbst zu füttern. Sie bekam eine Dose mit Lammragout, ich eine Käsestulle. Sie spielte mal wieder die beleidigte Leberwurst, denn Dosen verachtet das gnädige Fräulein. Ich ignorierte sie einfach, verschlang mein Brot und durchwühlte hektisch meine Schreibtischschublade nach etwas Süßem. Hinter den DVD -Hüllen fand ich die Ingwerkekse. Fragte mich, wie sie dahin gekommen waren. Aber nur ganz kurz, dann machte ich mich darüber her. Ich zündete mir eine an und wählte die Nummer von Düren. Es dauerte eine Weile, dann hatte ich endlich Nele dran.
    »Mensch, Süße, wie geht’s dir?«
    »Oooch, geht so. Ich bin schon auf vier Meter runter.«
    »Hey, machst du jetzt Turboentgiftung?«
    »Ich will hier raus, Katja. Wenn ich so weitermache, dann hab ich nächste Woche meinen ersten Clean-Tag. Und dann bin ich hier weg.«
    »Aber du bist doch erst für später in der Therapie angemeldet. Was machste denn, wenn die da noch keinen Platz für dich haben?«
    »Haben die aber. Das hab ich schon mit der Sozialtante hier geklärt.«
    »Nele, mach nicht zu schnell. Das kann nach hinten losgehen.«
    Sie lachte. Erzählte von ihrer Zimmergenossin, von den anderen Patienten – »Boah, die Russen, hörma, die sind drauf!« –, und dass Hotte sie heute schon angerufen und auf den Stand der Dinge gebracht hatte. »Das mit dem Hund, das ist super. Der tut der Chantal total gut. Hörma, Katja, du musst gucken, dass die den behalten kann!«
    »Mach ich.«
    Es läutete an der Tür.
    »Süße, ich muss aufhören, ich krieg Besuch. Ich melde mich wieder, okay?«
    »Ja, klar, hinter mir stehen sie schon die Schlange, die wollen alle ans Telefon. Tschö, und grüß die Hertha von mir!«
    Mr. Regie sah sich neugierig in meiner Küche um. Kaffee oder Tee hatten sowohl Martin als auch der ominöse Sebastian abgelehnt, also kriegten sie gar nichts. Das Gespräch verlief zäh. Ich fragte nach den Drehs, die sie in Kambodscha vorhatten. Wer ihre Gewährsleute dort seien. Martin antwortete auf meine Fragen, irritiert und genervt. Sebastian hüllte sich in Schweigen. Schließlich kam ich zur Sache. Fragte ihn geradeheraus, was er mit den Strichern auf dem Bahnhof zu tun hatte. Warum er dem einen Jungen so viel Geld gegeben hatte. Martin hielt die Luft an.
    Sebastian, dessen Nachnamen ich noch immer nicht wusste, sagte gedehnt und noch arroganter, als ich ihn schon kennengelernt hatte: »Und das geht Sie was genau an?«
    »Ein kleiner Junge, den ich kenne und um dessen Schwester ich mich mit kümmere, wurde von Pädophilen ermordet. Vorher haben sie ihn systematisch gefoltert, ›missbraucht‹ wäre ein geradezu verharmlosender Ausdruck dafür. Ich gehe davon aus, dass mindestens einer der Männer etwas mit Kinderprostitution in Kambodscha zu tun hat. Und dann erfahre ich, dass Sie einen Film zu diesem Thema drehen. Und sehe, wie Sie auf dem Bahnhof einem jugendlichen Stricher Geld geben. Reicht Ihnen das als Grund für mein Interesse?«
    Er sah ziemlich erschrocken aus. Eine ganze Zeit lang sagte er kein Wort. Dann kramte er in seinem Rucksack herum. Zog ein Foto heraus und reichte es mir. Der Junge auf dem Foto sah aus wie ein vom Himmel gestiegener Engel. Oder genauer gesagt, wie sich der Produzent eines Fantasy-Films vermutlich einen solchen Engel vorstellte. Schlaksiger, schmaler Körper, güldene Locken, Stupsnase, riesige veilchenblaue Augen. Ich sah genauer hin. Konzentrierte mich auf den Blick des Jungen. Korrigierte mich: Nein, nicht ein Fantasy-Produzent. Ein Softporno-Produzent. Ich reichte Sebastian schweigend das Foto

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