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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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dem Gewissen.‹ Betonung auf dem ›zwei‹.«
    Ich starrte ihn erschrocken an.
    »Ich bin mir sicher«, sagte Paul, »er hat damit nicht gemeint, dass er Marco ermordet hat. Oder sonst ein Kind. Ich habe keine Ahnung, was er damit gemeint hat. Aber wenn er das so in der Vernehmung gesagt hat, dann ist er geliefert.«
    Paul stand auf und lief nervös hin und her. Ich schloss die Augen, lehnte mich zurück und dachte: Bitte nicht!
    Paul beendete seinen Rundgang und setzte sich wieder hin. »Der Mann trauert. Das kann man sehen, das kann man riechen. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so tief in Trauer versunken ist. Ich fürchte, er ist abgesoffen in seiner Trauer, und alles andere ist ihm egal. Auch, was aus ihm wird.«
    Paul stand wieder auf, ging zum Fenster und zog die Rollos hoch. Gleißendes Sonnenlicht brach in den Raum ein, Paul kniff die Augen zusammen und ließ die Rollos wieder herunter. »Wie soll man so jemanden verteidigen?«
    »Denkst du, er trauert um Marco?«
    »Ja. Und vermutlich noch um dieses zweite Kind.«
    »Vielleicht hat ihn ja der Tod dieses Kindes aus der Bahn geworfen. Vielleicht hat er was damit zu tun und glaubt, er wäre dafür verantwortlich.« Ich erzählte ihm von Chantals Schuldgefühlen wegen Marcos Tod.
    »Och Mensch«, seufzte er und schüttelte den Kopf. »Was wird denn aus ihr? Traust du diesem Hotte wirklich zu, dass er sich gut um sie kümmert?«
    »Ja. Ich hab das schon geregelt.«
    »Wie, geregelt?« Jetzt schlug er endlich wieder den Großer-Bruder-Ton an. Ich war fast erleichtert. Erzählte ihm kurz von meinem Treffen mit Frau Lanzing.
    »Meine Fresse!« war alles, was Paulemann dazu einfiel.
    »Aber zurück zu dem Mann. Wie heißt er noch mal?«
    »Otto Mansfeld.«
    »Hat er denn sonst gar nichts gesagt?«
    »Doch. Deshalb wollte ich auch, dass du gleich kommst. Er sagte: ›Der Hund kann nichts dafür. Es ist ausschließlich meine Schuld.‹ Darauf ich: ›Welcher Hund?‹ Und stell dir vor, er hat tatsächlich geantwortet. Er hat gesagt: ›Er wird bei Grete sein. Sie soll ihn nehmen!‹ Und als ich nachfragte: ›Bei welcher Grete?‹, meinte er: ›Meiner Nachbarin.‹ Und das war’s dann. Von da an war kein Wort mehr aus ihm herauszubringen.«
    Ich stand auf. »Also gehen wir jetzt zu dieser Grete.«
    »Genau.«
    Wir parkten auf der Nordstraße und liefen zu Fuß weiter zur Schrebergartenkolonie.
    Der dritte Garten links war aufgewühlt, aber nicht so, wie ein Gärtner das tun würde. Das sah eher nach Spurensicherung aus. Die Laube war ein kleines Holzhäuschen. Als ich mich über den Zaun beugte, konnte ich erkennen, dass die Tür versiegelt war.
    »Abmarsch!«
    Die Frau, die zu der rauen dunklen Stimme gehörte, stand im Garten gegenüber und funkelte uns böse an. Sie war um die siebzig oder auch Mitte siebzig und stützte sich auf einen Rollator. Aus der offenen Tür ihrer Laube raste ein kleiner schwarz glänzender Ball an den Zaun und kläffte, was das das Zeug hielt.
    »Hier gibt es nichts zu gaffen.«
    Ich ging zu ihr hinüber und strahlte sie erleichtert an. »Sind Sie Grete?«
    »Und das ist der Hund!«, rief Paul.
    Jetzt sah sie uns zwar misstrauisch, aber nicht mehr nur wütend an. »Und wer sind Sie?«
    Im Nachbargarten spitzte eine Rentner-Skat-Runde die Ohren.
    »Ich bin der Anwalt von Herrn Mansfeld«, sagte Paul leise.
    »Otto hat keinen Anwalt«, erwiderte sie, gleichfalls in gedämpftem Ton. »So etwas kann er sich nicht leisten.«
    »Wissen Sie«, mischte ich mich nun ein, »das ist eine lange Geschichte. Wir würden sie Ihnen gerne erzählen. Ihnen, aber nicht unbedingt Ihren Nachbarn.«
    Sie musterte mich mit dem Blick einer altgedienten Lehrerin. Drehte sich schließlich um, verschwand in ihrer Laube, kam mit einer Leine wieder heraus und gurrte: »Komm, Sunny-Schätzchen, komm bei Fuß!« Sunny-Schätzchen war hin- und hergerissen zwischen der Aufgabe, uns zu verbellen, und der Aussicht auf einen Spaziergang. Er entschied sich dann doch für Letzteren. Grete leinte den Hund an, schloss Haus- und Gartentür ab, hob Sunny in den Korb an ihrem Rollator und setzte sich Richtung Nordpark in Bewegung.
    »Hat die Polizei das Fahrrad? Das müssen sie mir zurückgeben, das gehört meiner Enkelin.«
    Wir sahen sie ratlos an.
    »Ich dachte, Sie sind Ottos Anwalt?« Sie blieb abrupt stehen, nun ganz Misstrauen.
    »Ich habe Herrn Mansfeld im Polizeigewahrsam besucht. Mit der Polizei konnte ich noch nicht sprechen«, erklärte Paul mit seiner

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