Endstation Venedig
sie daraufhin gemacht?
Sie haben sie zurückgeschickt. Aber allein.
Brunetti sagte sich, daß dies nicht weiter schlimm war. Die Toten kümmerte so etwas nicht; es war ihnen egal, wie sie behandelt wurden oder was die Lebenden von ihnen dachten. Aber er glaubte nicht daran.
Können Sie versuchen, ein paar Informationen für mich zu bekommen, Maggiore?
Gern, wenn ich kann.
Ich möchte wissen, ob bei Ihnen ein Soldat namens Kayman stationiert ist.
Er buchstabierte den Namen für Ambrogiani.
Er hat
einen kleinen Sohn, der Patient von Dr. Peters war. Der Junge wurde in ein Krankenhaus in Deutschland geschickt, nach Landstuhl.
Ich wüßte gern, ob die Eltern noch da sind, und wenn ja, hätte ich gern Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen.
Inoffiziell, das Ganze?
Sehr.
Können Sie mir sagen, worum es geht?
Ich weiß es noch nicht genau. Sie hat mir eine Kopie vom Pati-entenblatt des Jungen geschickt, dazu einen Artikel über PCB.
Worüber?
Giftige Chemikalien. Ich weiß auch nicht, woraus sie bestehen oder was sie bewirken können, aber ich weiß, daß es schwierig ist, sie zu entsorgen. Und sie zerfressen die Haut. Das Kind hatte einen Ausschlag am Arm, wahrscheinlich ist er irgendwie damit in Berührung gekommen.
Was hat das mit den Amerikanern zu tun?
Das weiß ich noch nicht. Darum möchte ich mit den Eltern des Jungen reden.
Also gut. Ich kümmere mich gleich darum und rufe Sie heute nachmittag wieder an.
Können Sie das herausbekommen, ohne daß die Amerikaner es merken?
Ich denke ja , antwortete Ambrogiani. Wir haben Kopien von den Verzeichnissen ihrer Autonummern, und da fast alle ein Auto haben, kann ich sehen, ob er noch hier ist, ohne irgendwelche Fragen stellen zu müssen.
Gut , sagte Brunetti. Ich glaube, es ist besser, wenn das unter uns bleibt.
Sie meinen, unter Ausschluß der Amerikaner?
Vorerst ja.
In Ordnung. Ich rufe Sie an, sobald ich mir die Listen angesehen habe.
Danke, Maggiore.
Giancarlo , sagte der Carabiniere.
Ich glaube, wenn wir so
etwas zusammen machen, können wir uns auch duzen.
Einverstanden , sagte Brunetti, froh, einen Verbündeten gefunden zu haben.
Guido.
Als er auflegte, wünschte Brunetti sich plötzlich, in Amerika zu sein. Eine der großen Entdeckungen bei seinem Aufenthalt dort war das System der öffentlichen Bibliotheken gewesen; da konnte man einfach hingehen und Fragen stellen, jedes Buch lesen, das man wollte, und problemlos ein Zeitschriftenverzeichnis einsehen. Hier in Italien mußte man das Buch entweder kaufen, oder man konnte es in einer Universitätsbibliothek ausleihen, aber selbst da war schwer heranzukommen ohne die richtigen Karten, Genehmigungen oder Ausweise. Wie sollte er also etwas über PCB in Erfahrung bringen?
Was sie waren und was sie dem menschlichen Körper antun konnten?
Er sah auf seine Uhr. Wenn er sich beeilte, schaffte er es noch rechtzeitig in die Buchhandlung beim Campo San Luca; dort würde er wahrscheinlich die Bücher finden, die er brauchte.
Er kam eine Viertelstunde vor Ladenschluß an und erklärte dem Verkäufer, was er suchte. Er erfuhr, daß es zwei grundlegende Werke über toxische Substanzen und Umweltverschmutzung gab, wobei das eine mehr mit Emissionen zu tun hatte, die direkt in die Atmosphäre gingen. Dann gab es noch ein drittes, eine Art allgemeine Einführung in die Chemie für Laien. Nachdem er in allen herumgeblättert hatte, kaufte Brunetti das erste und das dritte und nahm noch ein schrill aufgemachtes Bändchen dazu, das von der Partei der Grünen herausgegeben worden war und den Titel Globaler Selbstmord
trug. Er hoffte, das Thema würde etwas seriöser behandelt, als Titel und Umschlag versprachen.
Danach kehrte er in einem Restaurant ein und aß richtig zu Mittag, ging ins Büro zurück und schlug das erste Buch auf. Drei Stunden später erkannte er mit wachsendem Entsetzen das Ausmaß der Probleme, die der Mensch des Industriezeitalters für sich und, schlimmer noch, für die geschaffen hatte, die ihm auf diesem Plane-ten nachfolgen sollten.
Diese Chemikalien waren offenbar bei vielen Prozessen wichtig, von denen der moderne Mensch abhing, unter anderem als Kühlmit-tel für Gefrierschränke und Klimaanlagen. Sie wurden auch dem Öl für Transformatoren zugesetzt, aber die PCBs waren nur eine Blume in dem tödlichen Strauß, den die Industrie der Menschheit gebunden hatte. Er las die Namen der Chemikalien mit Mühe, die Formeln mit Unverständnis. Was blieb, waren die Zahlen für die
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