Endstation Venedig
lebt, und damit meine ich ästhetische Werte, nicht nur materielle
– sein Ton nötigte Brunet-
ti, alle Phantasie aufzubieten, um sich da hineinzudenken –
dann
erkennt er sie wie seine Angehörigen. So würde Signor Viscardi diese Bilder selbst in einem kurzen Augenblick und unter Streß erkennen, wie er seine Frau erkennen würde.
Nach allem, was Brunetti von
Fosco erfahren hatte, würde Viscardi wohl eher die Bilder erkennen.
Patta beugte sich väterlich vor und fragte: Verstehen Sie das?
Ich werde viel mehr verstehen, wenn wir uns mit Ruffolo unterhalten haben.
Ruffolo? Wer ist das?
Der junge Kriminelle auf dem Foto.
Patta sagte nichts weiter als Brunettis Namen, diesen aber so leise, daß eine Erklärung fällig war.
Zwei Touristen haben auf einer Brücke gesessen und drei Männer mit einem Koffer aus dem Haus kommen sehen. Beide haben Ruffolo nach dem Foto erkannt.
Da Patta sich nicht die Mühe gemacht hatte, den Bericht über den Fall zu lesen, hatte er gewisse Hemmungen, zu fragen, warum diese Information nicht darin stand.
Er hätte sich draußen ver-
steckt haben können , meinte er.
Das ist durchaus möglich , stimmte Brunetti zu, obwohl es ihm viel wahrscheinlicher erschien, daß Ruffolo drinnen gewesen war und sich nicht versteckt hatte.
Und was ist mit diesem Fosco und seinen Telefonaten?
Ich weiß über Fosco nur, daß er Wirtschaftsredakteur einer der bedeutendsten Zeitschriften des Landes ist. Ich habe ihn angerufen, um mir ein Bild machen zu können, wie wichtig Signor Viscardi ist.
Damit wir wissen, wie wir mit ihm umgehen sollen.
Das spiegel-
te so genau Pattas Denkweise wider, daß er unmöglich Brunettis Aufrichtigkeit anzweifeln konnte. Brunetti hielt es kaum für nötig, für die Nachdrücklichkeit, die seine Leute bei Viscardis Vernehmung für richtig gehalten hatten, eine Entschuldigung vorzubringen. Statt dessen sagte er:
Wir müssen nur Ruffolo in die Finger kriegen, dann erledigt sich alles von selbst. Signor Viscardi wird seine Bilder zurückbekommen, die Versicherungsgesellschaft wird sich bei uns bedanken, und ich kann mir vorstellen, daß der Gazzettino auf der Titelseite des Lokalteils darüber berichten wird. Schließlich ist Signor Viscardi ein bedeutender Mann, und je schneller diese Sache erledigt ist, desto besser für uns alle.
Plötzlich widerte es Brunetti
regelrecht an, daß er jedesmal, wenn er mit Patta sprach, so eine al-berne Scharade aufführen mußte. Er blickte zur Seite, dann wieder auf seinen Vorgesetzten.
Pattas Lächeln war breit und aufrichtig. Konnte es sein, daß Brunetti endlich zur Vernunft kam? Daß er politische Realitäten allmählich zur Kenntnis nahm? Wenn ja, dann war das Verdienst dafür nicht ganz zu Unrecht ihm anzurechnen, fand Patta. Sie waren eigensinnig, diese Venezianer, klammerten sich an ihre Denkweise, eine überholte Denkweise. Ein Glück, daß sie durch seine Berufung zum Vice-Questore mit der großen, moderneren Welt konfrontiert wurden, der Welt von morgen. Brunetti hatte recht. Sie mußten nur diesen Ruffolo finden und die Bilder zurückbekommen, dann würde Viscardi in seiner Schuld stehen.
Also gut , sagte er energisch, wie Polizisten in amerikanischen Filmen es immer taten,
verständigen Sie mich, sobald Sie diesen Ruffolo festgesetzt haben. Brauchen Sie noch mehr Leute für den Fall?
Nein, Vice-Questore , sagte Brunetti nach kurzem Überlegen.
Ich glaube, wir haben genug im Moment. Es ist nur eine Frage des Abwartens, bis er einen falschen Schritt tut. Und das kann nicht mehr lange dauern.
Patta interessierte sich nicht im geringsten dafür, was es für eine Frage war. Er wollte eine Festnahme, die Rückgabe der Gemälde und Viscardis Unterstützung für den Fall, daß er sich entschloß, für den Stadtrat zu kandidieren.
Bestens, geben Sie mir Bescheid,
wenn Sie Näheres wissen , sagte er und entließ Brunetti, wenn nicht durch seine Worte, dann durch seinen Ton. Er griff nach einer neuen Zigarette, und Brunetti, der keine Lust hatte, dieser Zeremonie noch einmal zuzusehen, entschuldigte sich und ging nach unten, um mit Vianello zu reden.
Haben Sie etwas Neues über Ruffolo?
fragte Brunetti, als er
in das Büro trat.
Ja und nein , antwortete Vianello, indem er sich vor seinem Vorgesetzten achtungsvoll ein paar Millimeter vom Stuhl erhob und sich wieder hinsetzte.
Und das heißt?
Das heißt, er hat signalisiert, daß er reden will.
Woher haben Sie das?
Von jemandem, der einen kennt, der ihn
Weitere Kostenlose Bücher