Endstation Venedig
kennt.
Und wer hat mit diesem Jemand gesprochen?
Ich selbst. Es ist einer von den Jungen draußen auf Burano.
Sie wissen schon, die Jugendlichen, die letztes Jahr das Fischerboot gestohlen haben. Seit wir sie damals haben laufenlassen, dachte ich immer, daß er mir noch einen Gefallen schuldig ist, da bin ich gestern mal hingefahren und habe mit ihm gesprochen. Mir war nämlich eingefallen, daß er mit Ruffolo zusammen zur Schule gegangen ist. Und vor einer Stunde hat er mich angerufen. Keine großen Fragen. Nur, daß dieser andere mit einem gesprochen hat, der Ruffolo getroffen hat, und daß er mit uns reden will.
Mit einer bestimmten Person?
Nicht mit Ihnen, Commissario, könnte ich mir vorstellen. Sie haben ihn immerhin zweimal hinter Gitter gebracht.
Wollen Sie es machen, Vianello?
Der Ältere zuckte die Achseln.
Warum nicht? Ich möchte es nur
nicht gern zu umständlich haben. Er hatte die letzten beiden Jahre nichts anderes zu tun, als im Gefängnis herumzusitzen und sich amerikanische Krimis anzusehen, da wird er wahrscheinlich vorschlagen, daß wir uns um Mitternacht in einem Boot auf der Lagune treffen.
Oder bei Morgengrauen auf dem Friedhof, wenn die Vampire wieder in ihre Nester fliegen.
Warum kann er sich nicht einfach eine Bar aussuchen, dann können wir gemütlich ein Glas Wein trinken.
Also, egal wo, Sie gehen hin und treffen sich mit ihm.
Soll ich ihn festnehmen, wenn er kommt?
Nein, versuchen Sie das nicht. Fragen Sie ihn nur, was er uns sagen will, und finden Sie heraus, was für einen Handel er mit uns vorhat.
Soll ich jemanden mitnehmen, der ihn dann beschattet?
Nein. Damit rechnet er wahrscheinlich. Und wenn er das Gefühl hat, verfolgt zu werden, dreht er womöglich durch. Hören Sie nur, was er will. Und wenn er nicht zuviel verlangt, machen Sie das Geschäft mit ihm.
Glauben Sie, daß er uns etwas über die Sache Viscardi erzählen wird?
Es gibt keinen anderen Grund, warum er sonst mit uns würde reden wollen, oder?
Nein, ich wüßte nicht.
Als Brunetti schon gehen wollte, fragte Vianello: Und der Handel, den ich mit ihm abschließen soll? Halten wir unseren Teil ein?
Bei diesen Worten drehte Brunetti sich um und sah Vianello durchdringend an. Natürlich. Wenn Kriminelle nicht mehr an einen illegalen Handel mit der Polizei glauben können, woran denn dann?
19
Am nächsten Tag hörte Brunetti nichts von Ambrogiani, und Vianello hatte kein Glück bei seinem Versuch, Kontakt mit dem Jungen auf Burano aufzunehmen. Am darauffolgenden Morgen war immer noch kein Anruf gekommen, und als er vom Mittagessen zurückkam, auch nicht. Gegen fünf Uhr kam Vianello zu ihm und sagte, daß der Junge angerufen habe und sie ein Treffen für Samstagnachmittag auf dem Piazzale Roma verabredet hätten. Ein Auto werde kommen, um Vianello, der keine Uniform tragen solle, abzuholen und an den Ort zu bringen, wo Ruffolo mit ihm reden wolle. Als Vianello soweit erzählt hatte, grinste er und fügte hinzu: Hollywood.
Das heißt wahrscheinlich, daß sie auch noch ein Auto stehlen müssen , meinte Brunetti.
Und wohl auch, daß es nicht die geringste Aussicht auf einen Drink gibt , sagte Vianello resigniert.
Schade, daß sie die Pullman Bar abgerissen haben, dann hätten Sie sich wenigstens vorher noch einen genehmigen können.
Mein Pech. Ich soll an der Haltestelle des Fünferbusses stehen.
Sie kommen, halten an, und ich soll einsteigen.
Und woran wollen die Sie erkennen?
Wurde Vianello etwa rot?
Ich soll einen Strauß roter Nelken bei mir haben.
Jetzt konnte Brunetti sich nicht mehr zurückhalten und brach in schallendes Gelächter aus.
Rote Nelken? Sie? Mein Gott, ich hoffe nur, es sieht Sie niemand an der Bushaltestelle stehen, auf dem Weg aus der Stadt, mit einem Strauß roter Nelken.
Ich habe es meiner Frau schon gesagt. Es gefällt ihr gar nicht, ganz und gar nicht, und am wenigsten gefällt ihr, daß ich meinen Samstagnachmittag dafür opfern muß. Wir wollten zum Abendessen ausgehen, und ich werde in den nächsten Monaten nichts anderes zu hören kriegen.
Vianello, ich mache Ihnen ein Angebot. Tun Sie es – wir bezahlen sogar die Nelken, aber lassen Sie sich eine Quittung geben
–, tun Sie es, und ich frisiere den Dienstplan, so daß Sie nächsten Freitag und Samstag frei haben, ja?
Es schien das mindeste, was
er für den Mann tun konnte, der sich freiwillig in die Hände von be-kannten Kriminellen begab und, noch mutiger, freiwillig bereit war, Ärger mit seiner Frau zu
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