Endstation Wirklichkeit
Dinge. Das Dorf hatten sie bereits hinter sich gelassen, und David brannte immer mehr darauf zu erfahren, was Alan eigentlich von ihm wollte. „Alan, warum hast du mich heute Morgen angerufen? Warum wolltest du mich sehen?“
Alan blieb unvermittelt stehen und sah David besorgt an. „Du bist doch sauer, weil ich angerufen habe. Du kannst es ruhig sagen.“
Auch David stoppte. „Nein, Alan, ich bin nicht sauer deswegen. Es war nur überraschend. Ich glaube nicht, dass du wegen ein bisschen Geplauder über alte Zeiten angerufen hast.“
„Das stimmt.“ Alan machte eine Pause und sah gedankenverloren in die Ferne.
„Sondern?“, unterbrach David die Stille und setzte sich wieder langsam in Bewegung. Alan folgte ihm.
„Ich wollte einfach wieder mit dir reden. Du weißt ja, dass man hier mit niemandem so richtig quatschen kann … Weißt du, ich hatte es nicht einfach, als du fortgegangen bist ...“
David blieb sofort wieder abrupt stehen.
„Hey, Moment mal! Du hattest es nicht einfach, als ich fortgegangen bin? Du hattest es nicht einfach? Sag mal, hast du mal darüber nachgedacht, wie es für mich war, als du sang- und klanglos verschwunden bist und tagelang nichts von dir hören hast lassen, bis schließlich dieser Brief von dir kam? Ist dir bewusst, wie schwer das für mich war, als ich mit dir reden und dich sehen wollte, du dich aber immer hast verleugnen lassen? Kannst du dir vorstellen, was ich damals durchgemacht habe?“
Alan blickte verlegen auf den Boden und antwortete mit leiser Stimme: „Ich weiß. Jedenfalls kann ich es mir vorstellen. Das ist auch der Grund, warum ich mit dir reden will. Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe. Ich war ein Idiot. Ich war zu egoistisch, zu wenig verständnisvoll. Ich will mich einfach nur entschuldigen. Und ich würde es gerne ungeschehen machen.“ Er machte eine kurze Pause. „Eins solltest du wissen: Ich liebe dich immer noch! Ich vermisse dich sehr!“
David schloss für einen Moment die Augen. Irgendwie hatte er mit so etwas gerechnet. Zumindest hatte er es befürchtet.
„Alan, ich bin noch immer derselbe Mensch wie früher. Ich kann hier nicht leben. Ich will schließlich zum Film. Mehr denn je. Ich bin glücklich in L.A. Und ich bin glücklich ... mit Mike. Ich weiß, dass es dir wehtut, aber er liebt mich ... und ich liebe ihn! Es tut mir wirklich sehr leid, aber alles andere wäre gelogen.“
Bleierne Stille stand für einen Augenblick zwischen ihnen, und David ahnte, dass sich Alan wohl insgeheim eine andere Antwort erhofft hatte.
„Ich weiß, aber ich musste das einfach loswerden.“ Noch ehe Tränen seine Augen verließen und an seinen Wangen herunterliefen, drehte Alan sich um und lief zum Dorf zurück.
David rief nach ihm, aber Alan hastete weiter, ohne auf ihn zu reagieren.
Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend sah er Alan hilflos nach. Er fühlte sich schuldig, auch wenn er sich klarmachte, dass Alan den Konflikt ausgelöst hatte. Er brauchte deshalb kein Mitleid zu haben. Und dennoch verspürte er es.
Andererseits, warum überhaupt? Seine Liebe zu Alan, die einst so unverwüstlich, so unauslöschlich gewesen war, existierte nicht mehr. Sie war vorbei. Sie war zu einem Teil seiner Vergangenheit geworden. Nun liebte er Mike. Das Mitgefühl änderte also nichts daran, dass ihre Beziehung schmerzvoll geendet hatte.
4
D er vor seinem geistigen Auge ablaufende Film hielt an, ganz so, als hätte jemand die Pause-Taste eines Videorekorders gedrückt. Auf dem daraus entstandenen Standbild sah David den enttäuschten Blick in Alans Augen. Allein dieser Aspekt war Anlass genug, seine Empfindungen diesmal nicht den Weg zurück in die Gegenwart finden zu lassen. Sie verharrten in der Vergangenheit, drehten sich immer wieder um den Anblick jenes Menschen, den er einmal so sehr geliebt hatte. Zweifel und Bedauern breiteten sich in seinem Inneren aus.
Hatte er damals korrekt gehandelt? War es richtig gewesen, beinahe trotzig, fast zornig, auf Alans Geständnis und dessen Entschuldigung zu reagieren? Ihn mit seiner Liebe zu Mike zu konfrontieren?
Alan hatte in der Vergangenheit einen schweren Fehler gemacht, der David großen Kummer und Enttäuschung beschert hatte. Aber hatte er nach Alans Eingeständnis nicht genauso gehandelt?
Nein, er hatte keinen Zweifel, dass er Mike liebte – insofern war seine Entscheidung richtig gewesen – aber dennoch sah er das Bild seines Ex-Freundes mit tränenerfüllten Augen vor sich und wie
Weitere Kostenlose Bücher