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Endstation Wirklichkeit

Endstation Wirklichkeit

Titel: Endstation Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Klemann
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er diesen zurückgelassen hatte. David spürte den Kummer und den Schmerz, den Alan damals aufgrund seiner nüchternen Abweisung empfunden haben musste. Die Gefühle waren nicht mehr als Mitleid gewesen, tiefes und ehrlich empfundenes Mitleid.
    Schlagartig wurde David klar, dass diesmal er derjenige war, der einen solchen Schmerz empfand. Diesmal war er der Leidende im Standbild der Gegenwart.
    War sein heutiger Zustand vielleicht eine Art Vergeltung des Schicksals auf seine Reaktion gegenüber Alan? Ein Sinnbild, das ihm verdeutlichte, wie erbarmungslos und egoistisch er reagiert hatte?
    Auch er hatte sich vor einiger Zeit sehr falsch verhalten, hatte die – wie er heute wusste – größte Dummheit seines Lebens begangen. Er hatte jenem Menschen, der ihn liebte und dem er alles bedeutet hatte, unbeschreibliches Elend und unverzeihliches Leid zugefügt. War es nicht auch in diesem – seinem – Fall so, dass ein Fehler nicht verziehen wurde, nicht verziehen werden konnte? Genauso, wie er damals Alan nicht vergeben hatte? Diesmal war er der Auslöser einer Situation gewesen, die so leicht hätte vermieden werden können und die nie hätte passieren dürfen. Heute war er es, der nach Vergebung suchte. Er wollte gerne den Fehler und die Konsequenzen daraus ungeschehen machen. Doch die späte Erkenntnis konnte die Mauer der Ereignisse nicht einreißen.
    Ja, irgendwie war er sich plötzlich sicher, dass das Standbild seiner Erinnerungen ihm etwas verdeutlichte: Das Schicksal zahlte ihm qualvoll zurück, was er damals mit Alan getan hatte. Heute war er derjenige, dessen Herz zerbrochen war, dessen Flehen nach Befreiung keine Wirkung zeigte. In der traurigen Gegenwart war er es, der sich mit Tränen in den Augen abwenden musste, um die Scherben seines zerbrochenen Lebens nicht ansehen zu müssen.
     
    ***
     
    „Cut! ... Stopp! ... Nein, nein ... Herrje, nicht so. Mein Gott, ist das denn so schwierig?“ Der Regisseur Frank Carda griff sich verzweifelt in die Haare und ließ die Handflächen über sein Gesicht gleiten, als wollte er mit dieser Bewegung das Szenario, das auf dem Set vor der Kamera dargestellt worden war, wegwischen. So, wie man einen bösen Albtraum aus dem Gedächtnis fortwischt, wenn man schweißgebadet aufwacht.
    Heute war der erste Drehtag. David stand genau an jener Stelle, die ihm der Regisseur vor Drehbeginn der Szene zugewiesen hatte, und wartete auf seinen Einsatz.
    Nach einem ausführlichen Briefing hatten die Schauspieler und die Komparsen Stunden damit verbracht, die richtigen Kostüme und die erforderliche Schminke zu erhalten. Dann endlich hatte es angefangen. In der auf dem Filmstudio nachgebauten Kulisse eines Gerichtssaales sollte die Szene gedreht werden, in der die Hauptfigur der Verteidigerin seine Liebe gesteht.
    David war ziemlich nervös. Er erlebte das erste Mal in seinem Leben die Atmosphäre eines Drehortes, konnte Einblicke in die sonst geheimen Abläufe gewinnen und traf die Stars Myriam Bonetti und Ben Morgan. Es waren keine berühmten, weltbekannten Schauspieler, aber in einem Film eine der Hauptrollen spielen zu dürfen, machte die beiden Akteure in Davids Augen zu Stars. Sie würden heute vor der Kamera eine emotionale, vor dem Hintergrund der Sachlage aber auch schwierige Szene darstellen.
    Der Regisseur erhob sich aus seinem Stuhl und betrat sichtlich gereizt die Kulisse. Kopfschüttelnd ging er auf die Hauptakteure zu. „Ben! Hast du dir eigentlich mal die Mühe gemacht, das Drehbuch zu lesen? Ich meine, ganz gelesen?“
    Ben sah ihn ungläubig an. „Was soll die Frage? Natürlich habe ich das! Was stimmt denn schon wieder nicht?“
    Carda stützte die Hände in die Hüften und schweifte mit seinem Blick in die Ferne. „Was nicht stimmt? Du fragst allen Ernstes, was schon wieder nicht stimmt? Hast du eigentlich verstanden, was für eine Rolle du spielst? Ich meine, hast du begriffen, was in der Hauptfigur vorgeht? Wie er denkt, wie er fühlt, was er überhaupt für ein Mensch ist?“
    Die Lautstärke der Diskussion erhöhte sich.
    „Natürlich habe ich das! Was soll die blöde Fragerei?“
    „Dann erklär es mir bitte. Was spielst du für eine Figur?“
    Ben Morgan starrte den Regisseur sprachlos an. Dann schweifte sein Blick fragend durch die Menge der Umherstehenden, als suchte er eine Antwort auf die Frage, was Carda eigentlich von ihm wollte. Widerwillig antwortete er schließlich. „Stuart Kenneth ist ein Rebell. Er lehnt sich gegen alles auf, was ihm die

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