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Endstation Wirklichkeit

Endstation Wirklichkeit

Titel: Endstation Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Klemann
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versuchte einen Blick auf dessen Körper und das wunderschöne Gesicht zu erhaschen. Immer wieder kreuzten sich seine Blicke mit dem jungen Kellner.
    Was mache ich eigentlich hier?, fragte sich David plötzlich in Gedanken. Wer weiß, ob Alyosha überhaupt auf Männer steht? Und wenn ja, ob ich für ihn interessant bin? Erfüllte dieser womöglich nur einem gut zahlenden Hotelgast einen Wunsch? Gehörte es zu seinen Pflichten als Angestellter? Vielleicht raube ich Alyosha ja seinen wohlverdienten Feierabend?
    Und was würde Mike davon halten?
    Aber was tue ich denn so Schlimmes?, verwarf David die Einwände mit einer Gegenfrage. Ich gehe doch nur mit ihm aus und lasse mir ein wenig von der Stadt zeigen. Das ist doch nichts Verbotenes!
    Tief in seinem Inneren spürte er, dass er sich selbst belog. Natürlich trieb ihn ein anderes Verlangen als ein Abendessen und eine Stadtführung an Alyoshas Seite. Warum hätte er sich sonst die Frage gestellt, ob Alyosha Männer mochte? Für ein paar Plaudereien und etwas Zeitvertreib wäre das völlig egal gewesen. Nein, er musste sich eingestehen, dass er sich etwas anderes von diesem Abend versprach.
    „So, wir sind da“, unterbrach Alyosha nicht nur Davids Gedanken, sondern auch die Stille der letzten Minuten.
    Hastig betraten sie das Café. Sie fanden einen freien Tisch und setzten sich. Das Kaffeehaus war nur spärlich besucht, und eine angenehme Wärme erfüllte den Raum. Es war ein kleines Lokal mit etwa zwölf Tischen, von denen nur drei besetzt waren.
    Der Kellner kam nach wenigen Minuten und sprach russisch. David verstand kein Wort. Alyosha übersetzte schließlich und leitete die Frage an ihn weiter. „Was möchtest du trinken?“
    „Ich weiß nicht. Was nimmst du?“
    Alyosha entschied sich für einen heißen Kakao, und David schloss sich dem an. Nachdem der Ober sich wieder entfernt hatte, fand auch ihre Unterhaltung eine Fortsetzung.
    „Nun erzähl mal. Wo kommst du her? Was machst du hier in Moskau?“, erkundigte sich Alyosha.
    „Ich komme aus Los Angeles und bin aus beruflichen Gründen hier“, erklärte David und vermied es, einen genauen Grund für seinen Aufenthalt zu nennen. Er wollte nicht den Filmstar raushängen lassen, obwohl er sich kurz wunderte, warum Alyosha nicht wusste, wer er war.
    „Das muss aber eine tolle Firma sein, wenn sie dir ein so teures Hotel bezahlt.“ Alyosha lächelte vielsagend.
    David beschlich sofort der Eindruck, dass dieser verstanden hatte und ihn nicht über den wahren Anlass seiner Anwesenheit weiter ausfragen würde. Er hatte ohnehin nicht den Wunsch, sich zu erklären. Seiner Erfahrung nach sahen Menschen, denen er von seiner Schauspielerei erzählte, in ihm danach nicht mehr den Mann, der er war, sondern nur noch das, was er als Schauspieler tat. Sie nahmen den Star von der Leinwand wahr, nicht mehr den Menschen.
    „Und du? Was studierst du? Welche Fachrichtung?“
    „Ich studiere Fremdsprachen: Englisch, Französisch und Spanisch. Ich will, wenn ich fertig bin, in der Reisebranche arbeiten.“
    David hob anerkennend die Augenbrauen. „Ah, ich verstehe. Daher sprichst du meine Sprache so gut.“
    Alyosha bedankte sich freundlich.
    „Da bleibt sicher wenig Zeit für deine Freundin?“, hakte David nach, nachdem der Kellner die beiden Tassen auf dem Tisch abgestellt und ihnen eine kleine Speisekarte überreicht hatte. Natürlich steckte hinter dieser Frage mehr als nur die Neugierde auf die private Zeiteinteilung Alyoshas.
    „Das stimmt. Ich habe viel zu wenig Zeit. Das Studium, das Lernen und der Job im Hotel nehmen den Großteil meiner Zeit in Anspruch. Aber ich habe keine Freundin. Und wie ist es bei dir? Verreist du oft so weit?“
    David nahm einen kleinen Schluck des heißen Kakaos und stellte die Tasse wieder ab. „Nein, ich reise nicht oft. Genau genommen ist es das erste Mal, dass ich so lange und weit von zu Hause entfernt bin.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Und ich habe auch keine Freundin.“
    „Ich verstehe“, antwortete Alyosha und lächelte abermals hintergründig.
    „Warum lachst du?“ Alyosha schien ihm nicht zu glauben.
    „Nur so“, wiegelte dieser ab. „Ich freue mich einfach, mit dir hier zu sein. Du bist nicht so arrogant und eingebildet wie viele unserer Gäste. Die meisten glauben, nur weil sie sich ein teures Hotel leisten können, wären sie etwas Besseres und behandeln uns Angestellte wie Menschen zweiter Klasse.“
    Der Kellner kam erneut und fragte nach der Bestellung

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