Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
vertikaler Ballon dahing, der sich leicht im Wind wiegt.
»Wie geht es Aenea?«, fragte ich, und meine eigene Stimme kam mir fremd vor. »Wo ist sie?«
»Oh, sie ist im Tempel. Sie arbeitet. Wir sind mitten in der wichtigsten Arbeitsschicht. Sie konnte nicht weg. Sie hat mich gebeten, zu dir zu kommen und dir zu helfen, dein Schiff zu verstauen.«
Sie konnte nicht weg. Was, zum Teufel, sollte das? Ich war buchstäblich durch die Hölle gegangen – hatte Nierensteine und Beinbrüche ertragen müssen, war von Soldaten des Pax gejagt worden und auf einer Welt ohne festen Boden gelandet, war von einem Außerirdischen gefressen und wieder ausgespuckt worden – und sie konnte verdammt noch mal nicht weg? Ich biss mir auf die Lippen und kämpfte gegen den Impuls, zu sagen, was ich dachte. Ich gebe zu, dass meine Emotionen in diesem Moment hohe Wellen schlugen. »Was meinst du damit – mein Schiff zu verstauen?«, fragte ich. Ich sah mich um. »Es muss einen Landeplatz dafür geben.«
»Eigentlich gibt es keinen«, sagte die junge Frau namens Rachel. Als ich sie jetzt im grellen Sonnenschein ansah, wurde mir klar, dass sie wahrscheinlich ein wenig älter als Aenea war – vielleicht Mitte zwanzig.
Ihre Augen waren braun und intelligent, ihre Haut von Stunden in der Sonne braun gebrannt, ihre Hände schwielig von Arbeit, und sie hatte Lachfältchen in den Augenwinkeln.
»Warum machen wir es nicht folgendermaßen«, sagte Rachel. »Warum holst du dir nicht aus dem Schiff, was du brauchst, nimmst ein Komlog oder einen Kommunikator mit, damit du das Schiff rufen kannst, wenn du es brauchst, holst zwei Hautanzüge und Atmungsgeräte aus dem Spind und sagst dem Schiff dann, dass es sich auf den dritten Mond zurückziehen soll
– den zweitkleinsten eingefangenen Asteroiden. Dort gibt es einen tiefen Krater, in dem es sich verstecken kann, aber der Mond befindet sich in einem fast geostationären Orbit und hat stets eine Seite dieser Hemisphäre zugewandt. Du könntest es per Richtstrahl anfunken, und es könnte innerhalb von ein paar Minuten hier sein.«
Ich sah sie argwöhnisch an. »Warum die Hautanzüge und Atmungsgeräte?« Das Schiff hatte welche. Sie waren für eine erträgliche Umwelt im Vakuum gedacht, wo echte Raumanzüge nicht erforderlich waren. »Die Luft hier scheint dicht genug zu sein«, sagte ich.
»Ist sie«, antwortete Rachel. »Für diese Höhe ist die Atmosphäre überraschend reich an Sauerstoff. Aber Aenea hat mich gebeten, dir auszurichten, Hautanzüge und Atmungsgeräte mitzubringen.«
»Warum?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht, Raul«, sagte Rachel. Ihre Augen blickten gelassen, anscheinend frei von Täuschung oder Arglist.
»Warum muss sich das Schiff verstecken?«, fragte ich. »Ist der Pax hier?«
»Noch nicht«, sagte Rachel. »Aber wir rechnen schon die letzten sechs Monate oder so mit ihnen. Im Augenblick sind keine Raumfahrzeuge auf oder um T’ien Shan... mit Ausnahme deines Schiffs. Und keine Flugzeuge.
Keine Gleiter, keine EMVs, keine Schrauber oder Kopter... nur Paragleiter... die Flieger... und die wären niemals so weit draußen.«
Ich nickte, zögerte aber.
»Die Dugpas haben heute etwas gesehen, das sie nicht erklären konnten«, fuhr Rachel fort. »Das Pünktchen deines Schiffs vor dem Chomo Lori, meine ich. Aber letzten Endes werden sie alles mit Tendrel erklären, also wird das kein Problem sein.«
»Was sind Tendrel?«, fragte ich. »Und wer sind die Dugpas?«
»Tendrel sind Zeichen«, sagte Rachel. »In dieser Region der Berge des Himmels häufig vorkommende Weissagungen der schamanistischen buddhistischen Tradition. Dugpas sind... nun, wörtlich übersetzt heißt es
›die Höchsten‹. Die Menschen, die in den höchsten Regionen hausen.
Außerdem gibt es die Drukpas, das Volk der Täler... das sind die unteren Schluchten... und die Drungpas, die Bewohner der bewaldeten Täler...
hauptsächlich diejenigen, die in den großen Farnwäldern und Bonsai-Bambus-Hainen an den westlichen Ausläufern des Phari-Massivs und jenseits davon leben.«
»Aenea ist also im Tempel?«, sagte ich störrisch und weigerte mich, dem
»Vorschlag« der jungen Frau zu folgen, das Schiff zu verstecken.
»Ja.«.
»Wann kann ich sie sehen?«
»Sobald wir dorthin gelaufen sind.« Rachel lächelte.
»Wie lange kennst du Aenea?«
»Etwa vier Jahre, Raul.«
»Kommst du von dieser Welt?«
Sie ertrug mein Verhör geduldig lächelnd. »Nein. Wenn du die Dugpas und die anderen kennen
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