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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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Witze reißen, das eigentlich nicht lustig war. Eine notwendige Voraussetzung für das psychische Überleben.
    »Da könnte man ohne Weiteres mit einem Hubschrauber landen«, sagt Frazer Melville, nachdem er gegoogelt hat. »Nächste Woche findet dort ein Konzert statt, aber vorher ist es leer.«
    Schwer vorstellbar, doch ich habe gelesen, dass man das Stadion nach den Spielen 2012 zur Hälfte demontiert und die Sitze verkauft hat.
    Eine tiefe Angst vibriert in mir, steigt aus meiner zerschmetterten Wirbelsäule auf. Ich atme zitternd aus, als hätte man mir auf die Brust geschlagen. Es ist seltsam und ungewohnt, dass ich auf einmal so leidenschaftlich leben möchte. Aber der Geruch der angebrannten Eier bekommt mir nicht. Ich rolle rasch ins Badezimmer und erbreche meinen gesamten Mageninhalt. Ich muss kotzen, bis mein Kopf um seine eigene Leere kreiselt. Als ich wieder atmen kann, überkommt mich eine merkwürdige, von Selbstekel getriebene Verzweiflung. Eine Verzweiflung, die ganz eng mit meinem Alex-Traum verbunden ist.
    Als ich zurückkomme, schleppt Frazer Melville gerade die Reisetaschen durch die Hintertür und lädt sie in einen grauen Kombi. |330| Alles sieht auf einmal anders aus. Es ist, als würde ich diesen Ort nur in der Erinnerung sehen, als blickte ich aus einer fernen Zukunft auf ihn zurück. Über meinen Bauch verläuft eine unsichtbare Grenze, darunter empfinde ich nichts. Doch darüber, wo die Nerven leben, zieht sich ein Muskel wie eine Seeanemone zusammen. Ich lege meine Handfläche auf die nackte Haut und spüre ein fremdes Wesen, das wie ein Parasit dort wächst und über ein Wissen verfügt, das ich nicht habe, über ein eigenes Gehirn, einen Willen.
    Es schreit Nein.

|331| 4.   Teil
    |333| 15
    Im dichten Verkehr in Norfolk wirken wir normal und damit unsichtbar. Ein grauer Nissan mit Hybrid-Antrieb, darin eine kleine Pseudo-Familie, am Steuer ein Patriarch mittleren Alters, der sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält und über eine wenig malerische Route nach London fährt: Wir könnten jedermann sein. Und das ist sehr beruhigend. Links von uns ein saures, metallisches Meer; zu unserer Rechten fahlbraunes, gepflügtes Ackerland, sporadisch unterbrochen von Gewerbegebieten, Wohnwagenparks, Bürogebäuden und Imbissen, die Kaffee, Hotdogs, Coca-Cola und Internetzugang anbieten. Ich habe das Navigationssystem so programmiert, dass es uns über Nebenstraßen bis Great Yarmouth leitet, an der Küste entlang durch Lowestoft, Aldeburgh und Felixstowe und dann Richtung Westen, parallel zum Mündungsgebiet der Themse, bis zur Stadium Island. Ein psychotischer Teenager im Auto birgt ein gewisses Risiko, doch zum Glück hat sich Bethany bislang nicht gegen unsere Fluchtpläne gewehrt. Als Frazer Melville an einer anonymen Tankstelle anhielt, um Vorräte zu kaufen, darunter auch die Vorratspackung Popcorn, auf die sie bestanden hatte, schlüpfte sie mit einem Haufen Make-up in die Toilette und tauchte als Mischung aus Nutte und Goth wieder auf. Niemand würdigte sie (oder uns) eines Blickes. So weit, so gut. Dennoch werde ich nicht den Fehler begehen, ihr zu vertrauen. Jetzt hat sie sich wieder auf dem Rücksitz ausgebreitet, der mit Konfetti aus zerplatzten, karamellisierten Maiskörnern übersät ist. Ihre Augen zucken hin und her, und mit dem rasierten Kopf, der einen grotesken Helm aus Stoppeln trägt, erinnert sie an ein angekettetes Tier, das auf seinen großen |334| Auftritt wartet. Gelegentlich liest sie mit sich überschlagender Marge-Simpson-Stimme Reklametafeln vor
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Ansonsten ist es eine schweigsame Fahrt. Wir alle sind eingesponnen in unsere Gedanken.
    Meine verschaffen mir keinen Trost. Als ich das Fenster öffne, dringt ein widerlicher Geruch herein, als wäre der Mond verwest und atmete seine lunare Fäulnis über den Ozean. Mir wird bewusst, dass eine Insel ein Gefängnis ist. Wie sicher kann die Sicherheit sein, in die wir uns bringen? Wie kann eine gelähmte Frau in einer überhitzten, von Hochwasser bedrohten, geplünderten Welt überleben, in der die Kommunikationswege zusammengebrochen, die Ressourcen eingeschränkt und Lebensmittel schwer zu bekommen sind? Werden wir Mineralwasser, Zucker und Sardinenbüchsen aus Supermärkten stehlen? Oder Kohl anbauen? Wer wird uns den Umgang mit Schusswaffen beibringen, falls wir sie benötigen? Und auf wen

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