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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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werden wir schießen? Vielleicht habe ich tief im Inneren angenommen, dass es nicht zu dieser Katastrophe kommen wird. Und wenn doch, dass wir still, effizient und schmerzlos sterben, indem wir eine Art innerer Löschtaste drücken, die es uns erlaubt, binnen einer Sekunde zu verschwinden. Bislang hat mir der Gedanke an meinen Tod keine Angst gemacht, vielleicht weil ich ihn schon einmal so lange und heftig geküsst habe und eine krankhafte Vertrautheit zu ihm fühle. Nun aber, da die Katastrophe wie ein Gespenst hinter den drohenden Wolken lauert, wird mir klar, dass ich nicht bereit bin, zu sterben. Außerdem habe ich eine durchaus gesunde Angst vor Schmerzen.
    »Was für Leute leben eigentlich in diesen Planetariersiedlungen?«, frage ich Frazer Melville leise. Ich habe versucht, mir einen solchen Ort vorzustellen, kann aber nur die Bilder heraufbeschwören, die ich aus den Zeitschriften kenne: geduckte Reihen solarbeheizter Ökounterkünfte, Windräder, Felder mit Wurzelgemüse und Hanf, Fischteiche, Weinstöcke in Gewächshäusern und |335| verdreckte Kleinkinder in Gummistiefeln. Hinzu kommt Harish Modaks pessimistische Bewertung, was die Überlebensaussichten des
Homo sapiens
als Spezies betrifft. Ansonsten habe ich keinen Schimmer.
    »Wie Harish schon sagte: Bauern, Ärzte, Ingenieure«, erwidert Frazer Melville, die Augen auf die Straße gerichtet. Ich beneide ihn, er kann sich immerhin mit Fahren ablenken. »Die Leute, die man braucht.«
    »Physiker, Paläontologinnen, pessimistische alte Knacker, schwule Klimatologen, verkorkste Seelenklempnerinnen«, meldet sich Bethany vom Rücksitz. »Und Teenager. Zu Fortpflanzungszwecken.«
    Eigentlich sollte ich vermutlich heulen, tue aber das genaue Gegenteil. Wenn auch ein bisschen hysterisch.
    »Ich habe mal eine in Kanada besucht«, sagt Frazer Melville. »Man muss dort eine völlig neue Denkweise entwickeln.«
    »Ist das gut oder schlecht?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Es ist das einzig Mögliche.« Er wirft einen Blick aufs Navi. »In zwei Stunden sind wir am Stadion.« Sein Gesicht ist starr vor Konzentration.
    » Arbeitsunfall? «
, erkundigt sich Marge Simpson.
» Wie viel ist Ihr Fall wert? Sprechen Sie jetzt mit unseren Experten. Office Sense: Finanzplanung neu gedacht
.
«
    Vor einer Weile hat Ned angerufen, um uns zu sagen, dass sie uns nach der Pressekonferenz mit einem Hubschrauber in der Mitte des Stadions abholen werden. Bis dahin können wir telefonisch Kontakt aufnehmen. Wir sollen weiter auf die Nachrichten achten. Er mahnt uns zur Vorsicht. Sollte man Bethany mit den drohenden Ereignissen in Verbindung bringen, könnte die Sache sehr unerfreulich werden.
    Und was ist sie bitte jetzt?
    Als ich nach dem Unfall aus dem Koma erwachte, lebte ich nach dem Prinzip »ein Tag nach dem anderen«. Oft auch nur minutenweise, bei extremen Schmerzen sogar im Zehnsekundentakt. Die |336| Medikamente halfen. Ansonsten verlegte ich mich auf die Selbsttäuschung, eine Angewohnheit, die ich früher verachtet hatte. Nun, da das langfristige Denken definitiv vorbei und die Zukunft auf wenige vorhersehbare Stunden geschrumpft ist, gilt dieses Prinzip erneut. Im Zweiten Weltkrieg, während der Luftangriffe, haben es Männer und Frauen in den Luftschutzkellern getrieben wie die Kaninchen. Das kann ich in diesem Moment durchaus nachvollziehen.
    Wir sind in eine Wildnis aus billigen Häusern, Burger-Buden und Schrottplätzen vorgedrungen, auf denen sich ausgeweidete Autowracks und kaputte Baugerüste stapeln. Auch diesmal öffne ich das Fenster nur ganz kurz. Bethany krächzt: »Scheiße, was ist das?«, und Frazer Melville hustet demonstrativ. In den fauligen Gestank mischt sich eine metallische Note. Ich mache rasch das Fenster zu und hole tief Luft, versuche den Vulkanausbruch in meinem Magen zu unterdrücken. Während die Kilometer dahingleiten, wird der Geruch zunehmend intensiver. Um elf Uhr schalten wir den winzigen Fernseher im Armaturenbrett ein und entdecken den Grund dafür. An den britischen, skandinavischen und nordeuropäischen Stränden wurden Zehntausende Quallen angespült, die dort verwesen. Aufnahmen aus dem Weltraum zeigen riesige Schwärme, die sich wie unterseeische Wolken auf die Küsten zubewegen, während andere als dunkle Linien vor den Ufern tanzen und sich zu konzentrischen Kreisen sammeln, als hätte ein wahnsinniger Riese die ganze Küste in Luftpolsterfolie gewickelt. Frazer Melvilles Hände umklammern das Steuer. »Sie haben es

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