Endzeit
Koordinaten, also Breitengrad und Längengrad, und die letzten drei Zeichen CH 4 sind das chemische Symbol für Methan. Die Koordinaten bezeichnen eine Bohrinsel namens Buried Hope Alpha, die hundert Kilometer von der norwegischen Küste entfernt liegt. Dafür dürften wohl die Buchstaben B und H stehen. Diese Bohrinsel wird von dem Energieriesen Traxorac betrieben, der dort nach gefrorenem Methan bohrt. Wir werden in Kürze mit der Firma sprechen. Zuerst aber eine Stellungnahme von Greenpeace.«
»Wir lieben zwar aufsehenerregende Aktionen, aber diese ist nicht von uns«, sagt die Sprecherin mit leisem Bedauern. »Ich vermute, dass die Botschaft von Umweltschützern stammt und die Bohrinsel dringend überprüft werden muss. Methanhydrat ist äußerst flüchtig, und falls sich jemand entschlossen hat, die Welt auf die Gefahren der Förderung hinzuweisen, wären wir nur allzu froh.«
»Bingo!«, flüstert Bethany heiser. Sie steht in der Tür, eingewickelt in eine Daunendecke, das Gesicht gerötet, als wäre sie aus einem Albtraum erwacht. »Sehen Sie.« Sie deutet auf den Bildschirm. »Das ist unsere Insel. Die mit der Möse im Kran.« Frazer Melville zieht ihr einen Stuhl heran, und sie plumpst schwer darauf. Dann verschränkt sie die verbundenen Arme vor der Brust und starrt auf den Fernseher.
Menschlicher Wagemut in einer feindseligen Natur kann ein erhebender Anblick sein. Aus der Luft sieht Buried Hope Alpha aus wie ein ehrgeiziges Projekt, dessen Technik den Menschen dienen soll, und so war es einst auch gedacht. »Traxorac hat absolut nichts zu verbergen«, erklärt der Leiter der Bohrinsel, Lars Axelsen. Der Norweger steht auf der riesigen Plattform, auf dem Kopf einen Schutzhelm. Hinter ihm laufen Techniker in Arbeitsanzügen hin und her, sie tragen Werkzeuge und Minicomputer bei sich. Tief unter ihnen ist das Meer eine ruhelose, schwarzblaue Masse, hohe Wellen prallen gegen die Stützen. Er wirkt |326| verblüfft, als man ihn nach der Botschaft auf der Eiskappe fragt. »Wir haben ein ferngesteuertes Fahrzeug nach unten geschickt, um die Lage beurteilen zu können, aber die ersten Berichte haben keinerlei Hinweise auf Fehler erbracht. Sicherheit hat bei uns absolute Priorität. Sollte da unten tatsächlich etwas nicht in Ordnung sein, ist Sabotage nicht auszuschließen. Oder ein feindlicher Angriff. Angesichts der Terrordrohungen …«
»Was wären wir nur ohne al-Qaida?«, fragt Frazer Melville.
Axelsen runzelt die Stirn. »Ich will nicht bestreiten, dass auf diesen Bohrinseln gelegentlich Unfälle passieren, das Risiko liegt in der Natur der Sache. Aber wir haben umfangreiche Sicherheits- und Kontrollsysteme installiert, die dafür sorgen …«
»Blabla«, sagt Bethany und reckt sich theatralisch. Sie hat sich in dramatischem Tempo erholt, aber ich mache mir immer noch Sorgen um ihren Geisteszustand. Sie schlendert zum Kühlschrank und reißt die Tür auf. »Ich habe Hunger. Ich mache mir ein Omelett«, verkündet sie, lässt die Decke zu Boden fallen und greift nach der Packung mit den Eiern.
»Ist Methan nicht eines der gefährlichsten Treibhausgase?«, erkundigt sich der Nachrichtensprecher.
»In der Tat, falls es nicht ordnungsgemäß gehandhabt wird«, erwidert Axelsen. »Wir aber entnehmen das Hydrat unter kontrollierten Bedingungen, verflüssigen das Gas am Meeresboden und pumpen es erst dann nach oben. Ich möchte noch einmal betonen, dass wir nichts zu verbergen haben. Sie können sich gern selbst davon überzeugen. Wir laden heute Medienvertreter ein, die Situation selbst in Augenschein zu nehmen.«
Während ich umschalte, schlägt Bethany sechs Eier in eine große Plastikschüssel und wirft die Schalen ins Spülbecken. Auf CNN erklärt ein Meeresbiologe, bei der »organischen Farbe« handle es sich um eine Mischung aus Meerwasser und den gemahlenen Überbleibseln des phosphoreszierenden Krebstiers
Luzifer gigans
. »Sie könnte von einem Fahrzeug auf dem Eis verteilt worden sein oder von einem Hubschrauber, der eine sorgfältig |327| festgelegte Route abflog.« Ein arktiserfahrener Pilot und ein Kartograph erscheinen im Studio, um über die logistischen Probleme eines Luftabwurfs zu diskutieren. Ich wechsle zu Euronews, wo eine Wetterkarte heraufziehende Stürme für Großbritannien anzeigt. Bethany schüttet eine beunruhigende Menge Salz in ihre Eiermischung und rührt darin wie eine Wilde.
»Unsere letzten normalen Stunden auf Erden«, sagt sie und schaltet den Gasherd ein. Sie
Weitere Kostenlose Bücher