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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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bedeutet: Wenn ich dich habe, Leben, wie sehr liebe ich dich. Das klingt zu kitschig, um es laut auszusprechen, selbst wenn ich allein bin. Die Zynikerin in mir sträubt sich dagegen. Dennoch nehme ich die spanischen Wörter in den Mund und empfinde sie durch die Distanz der Fremdheit als Trost.
Cuando te tengo a ti, vida, cuanto te quiero.
Das Fernsehen kann die eigene Hölle relativieren, wenn einem danach ist. Heute ist mir danach.
    Ich mache Kaffee, zu dem ich mir vier Stückchen dunkle Schokolade gestatte, wechsle aufs Sofa hinüber, zappe durch die Programme, schwanke zwischen einem Dokumentarfilm über Hungersnöte und
Was geschah wirklich mit Baby Jane?
und entscheide mich schließlich für die Nachrichten. Zwei weitere Selbstmordattentate in Jerusalem. Entführungen, verlorene Gliedmaßen, verwaiste Kinder. Schwarz gekleidete Frauen im Iran, die ihren Kummer herausheulen. Der chinesisch-amerikanische Streit um Treibhausgase gewinnt an Heftigkeit, während sich die Hitzewelle auf ganz Europa ausgedehnt hat und alte Menschen mit präzisen Schlägen und geradezu industrieller Effizienz fällt. Die Leichenhallen »platzen aus allen Nähten«, wie es die Reporterin ausdrückt. Spanien, Frankreich und Italien sind am schlimmsten betroffen.
    Oder am glücklichsten dran, wenn man dem Sprecher einer der planetarisch orientieren Ökogruppen glaubt, die nach dem Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen nur so aus dem Boden schossen. Nachdem mein Vater pensioniert worden war und sich zunehmend mit seinen Fachzeitschriften beschäftigte, fing er an, unsere Ära als das »Zeitalter des Dogmas« zu bezeichnen. Er nutzte das Anwachsen der planetarischen Bewegung, um seine |44| These zu untermauern: Er verglich sie mit der
Glaubenswelle
, einem weiteren Beispiel dafür, dass die moralischen Debatten und deren Vertreter, wie das Wetter, immer extremer, selbstgerechter und fanatischer geworden seien. Dann verwandelte sich sein Hirn in Schweizer Käse, und ich hörte nichts mehr zu dem Thema. Schade, denn er hätte über die jüngsten Entwicklungen sicher interessante Dinge zu sagen gehabt. »Das sind natürliche, organische Verluste«, versichert der Sprecher. Obwohl er ein Radikaler ist, spricht er in Pastelltönen, wie ein zurückhaltender, aber geschickter Verkäufer, der einem erzählt, dass er das Produkt, das er verkaufen will, selbst besitzt und damit sehr zufrieden ist. »Eine gewisse menschliche Auslese ist kein neues Phänomen. So furchtbar traurig es für die Familien der betroffenen älteren Menschen sein mag, ich sehe auch positive Aspekte, die es bei diesen Todesfällen zu berücksichtigen gilt.«
    »Wenn Sie diesem Argument bis zum logischen Schluss folgen, müssten Sie sich auch eine Geburtenrate von null wünschen. Unterstützen Sie diese These, die Denker wie Harish Modak vertreten?«, fragt die Journalistin. Ich habe von Modak gehört und ein Foto gesehen: ein älterer Inder mit markanten Gesichtszügen und verschleiertem Blick. Sein Name taucht immer wieder in den Ökodebatten auf, und auf ihn gehen weltweit Tausende Survival-Siedlungen zurück. Ein Prophet des Weltuntergangs, darin ist sich die britische Boulevardpresse einig: ein Spielverderber, ein Öko-Buhmann.
    »Selbstverständlich. So wie jeder vernünftige Mensch, der das menschliche Leid in den kommenden Jahrzehnten auf ein Mindestmaß beschränken möchte. Sie werden sehen, das wird zu einer Grundströmung der öffentlichen Meinung. Die Zeiten ändern sich, und wir verändern uns mit ihnen. Passen uns an, wie wir es immer getan haben. Persönlich würde ich allerdings noch weiter gehen als Harish Modak, sosehr ich ihn bewundere. Denken Sie nur an die finanziellen Mittel, die in den Kampf gegen Krankheiten wie Aids und Malaria gesteckt werden, während uns die Logik |45| sagt, dass Gaia sich mit Epidemien lediglich gegen die Überbevölkerung wehrt. Wenn das aber der Fall ist und wir einschreiten, um solche organischen Krankheiten zu bekämpfen, fördern wir das Bevölkerungswachstum und verschärfen damit   …«
    Ich schalte den Fernseher aus. Noch vor zwei Jahren, als ich in der Reha war, wurden Leute wie er mit seinem Gerede von positiver Schrumpfung bestenfalls als bedeutungslose Exzentriker und schlimmstenfalls als Ökofaschisten und Eugeniker abgetan, was viele von uns, die sich ganz oben auf der Liste der CO 2 -Ver ursacher fanden, ungeheuer erleichterte. Nun aber hat diese den Blogs entsprungene Bewegung binnen weniger Monate den Weg in

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