Endzeit
Teil, der mich trotz allem so weit gebracht hat –, weigert sich, so wie Modak zu glauben, dass diese Visionen niemals Wirklichkeit werden. Ich habe den furchtbaren Autounfall nicht überlebt, um mich von Washington, Neu-Delhi und Peking zu Tode kochen zu lassen.
Cuando te tengo a ti, vida, cuanto te quiero
, murmele ich, ein winziges, fremdsprachiges Mantra der Fröhlichkeit. Normalerweise kann ich nach der Arbeit gut abschalten, aber Bethany Krall ist hartnäckig. Ich höre das heisere Kratzen ihrer Stimme. Ihre abwegige, sorgfältig artikulierte Drohung.
Sie hatten zwei Herzen, und dann war eins weg. Jemand ist gestorben.
Noch immer spüre ich ihre Finger an meinem Puls. Wie die eines Arztes, der mir Böses will.
|50| Mein Kollege Dr. Hassan Ehmet ist ein melancholischer türkischer Zyprer mit hängenden Schultern und ungepflegtem Haar, dessen beruflicher Ruhm auf einer Studie über Massenhysterie und religiöse Kulte im Fernen Osten gründet, die in Kürze als Lehrbuch bei Oxford University Press erscheinen soll. Obwohl er nicht sonderlich bezaubernd ist, bezaubert er mich. Mir gefällt, wie er seine Einsamkeit und Gelehrsamkeit zur Schau trägt, und das kleine »Ha«, wenn er einen trockenen Medizinerwitz gerissen hat.
»Die echten Tragödien in der Welt sind keine Konflikte zwischen Gut und Böse. Es sind Konflikte zwischen Gut und Gut. Ha. Bethanys Konflikt ist so ein Konflikt zwischen Gut und Gut. Ihrem und unserem. Das, was sie in einen Zustand des Glücks, vielleicht sogar vorübergehender Seligkeit versetzen kann, ha, ist eine regelmäßige Dosis Elektrizität, die unmittelbar ins Gehirn geht. Das Interessante, besser gesagt, das ziemlich Bemerkenswerte daran ist, dass sie inzwischen selbst danach verlangt«, erklärt er mir bei einem grauenhaften Kantinenessen. »Sie spürt die positive Wirkung. Ich vermute, dass innerhalb weniger Monate die unterdrückten Erinnerungen zurückkehren werden. Im Grunde sind einige dieser Kinder wie Katzen und Hunde. Sie wissen schon, Fleischfresser fressen manchmal Gras, um ihre Verdauung zu fördern. Sie wissen, was sie brauchen, wenn sie krank sind, ha. Das sagt ihnen der Instinkt.« Für einen Psychiater, der in der Warteschlange beim Mittagessen Hegel zitiert, ist das eine ziemlich derbe Aussage, aber vielleicht hat er recht. »Bei den Therapeuten ist sie unbeliebt, weil sie intuitiv handelt. Sie fängt Stimmungen ein. Ihre Wahrnehmungsgabe ist manchmal ein bisschen, wie sagt man,
unheimlich
. Das beunruhigt die Leute.« Ich gebe mich überrascht und belustigt, als wäre ich nicht betroffen. Ob es mir gelingt, weiß ich nicht. »So wie Joy McConey. Die arme Frau.«
»Wie war ihre Beziehung zu Bethany?«, frage ich. Dass er den Namen meiner Vorgängerin erwähnt, die in Oxsmith totgeschwiegen wird, macht mich neugierig.
|51| »Natürlich schwierig«, erwidert Dr. Ehmet. Jetzt sieht er verlegen aus. Er bedauert seine Worte.
»Aber warum?«
Ich habe sie gewarnt, dass es passieren würde
. »Ist Joy … krank?«
Er stupst ein Falafel mit der Gabel an. »Bei Joy waren es gewissermaßen unglückliche Umstände«, murmelt er. »Sie kam zu, ähm, unprofessionellen Schlussfolgerungen über Bethany.«
»Zum Beispiel?«
Aber er schüttelt den Kopf, zerteilt sein Falafel und schaut sinnierend in den milden, eiweißhaltigen Dampf. »Wir hoffen alle, dass Joy zurückkommt. Daher werden Sie es sicher verstehen, wenn ich nichts mehr dazu sage.«
Ich nicke zustimmend. »Was ist mit Ihnen? Wie steht es zwischen Ihnen und Bethany?«
»Ich bin nur für die, ähm,
elektrische
Seite des Falles zuständig. Ha. Ich muss ihr nicht zuhören«, sagt er und zerdrückt das Falafel mit der Gabel, dass die Körner durch die Zinken quellen. »Von mir bekommt sie nur den Strom.«
Der Stilleraum ist klinisch weiß. Ich befinde mich im angrenzenden Beobachtungsbereich und werde gleich durch die dicke Glasscheibe zusehen, wie Bethany ihre EKT erhält. Dr. Ehmet hat erklärt, dass das Verfahren, das früher verstörend wirkte, dank Narkose und Antispasmodika für Zuschauer ziemlich banal geworden sei. »Oh ja, die Tage der großen Dramen sind lange vorbei, ha. Keine heftigen Zuckungen mehr, keine Patienten, die ihre Zunge verschlucken oder ihre Zähne ausspucken.« Er klingt ein bisschen wehmütig. »Wegen des möglichen Gedächtnisverlustes ist die Methode immer noch umstritten. Ebenso, weil niemand weiß, wieso sie funktioniert. Eine Theorie besagt, dass der Schock das
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