Endzeit
ausdrücken soll, würde ich ihn gern teilen. Dankbar wäre ich auch für einen kleinen Hinweis darauf, worin »die Trübsal« bestehen soll, abgesehen von der vagen Vorstellung von Sintflut und Heuschreckenplagen. Vielleicht ein nuklearer Unfall?
In dieser fröhlichen Stimmung erreichen wir die Hauptstadt.
Die Welt vor der ökologischen Katastrophe zu retten, ist ein großes und aalglattes Geschäft. Die Spendenmaschinerie der Organisation, zu der wir wollen, mag zwar vom kollektiven Schuldgefühl angeheizt werden, doch ihr öffentliches Image ist so zuversichtlich und fortschrittsorientiert wie das Gebäude, in dem sie untergebracht ist – von den Sonnenkollektoren an der Fassade und den diskret angebrachten Windrädern auf dem Dach bis hin zur eindrucksvollen Sammlung gespendeter Kunstwerke in der Eingangshalle. Mich beeindrucken die Größe dieses Unternehmens und die wirtschaftliche Kompetenz des Verwaltungsapparates. Geld und Überzeugung scheinen hier eine kraftvolle Mischung einzugehen. Im Wartebereich, der von einer Fernsehwand beherrscht wird, auf der Höhepunkte von Kampagnen zu sehen sind, bietet man uns Caffè Latte an. Zehn Minuten später werden wir in den zehnten Stock geführt, wo sich das unregelmäßige kubistische Panorama der Londoner Skyline unter einer dichten Wolkendecke präsentiert. Ich betrachte das Grau der Häuser, unterbrochen von den grünen Flächen der Parks, und die Londoner Wahrzeichen, die ich mit meinem Vater auf unserem Ausflug vor sechs Jahren angeschaut habe, als sein Verstand und meine Beine noch funktionierten. Es war ein letzter, ungeahnter Familienabschied von der Stadt. Ich sehe das Swiss-Re-Gebäude, den Post Office Tower, das riesige London Eye, die Nelsonsäule und die St. Paul’s Cathedral. Dazwischen schlängeln sich die roten Busse. Damals sind wir mit einem gefahren. Oben. Und haben geredet und geredet.
|193| Wir haben oben gesessen.
Frazer Melville wird von der Chefökologin Karla Fitzgerald und ihrem Team respektvoll begrüßt. Der Name meines Physikers hat durchaus Gewicht.
»Wir wollten Sie persönlich treffen, weil wir uns in einer ungewöhnlichen Lage befinden«, beginnt Frazer Melville, nachdem er sich auf das Sofa gesetzt und mich einfach als »Gabrielle Fox, eine Freundin, die meine Sorgen teilt«, vorgestellt hat. Er ist nervös. Spürt Karla Fitzgerald das auch? Sie lächelt gelassen, aber geschäftsmäßig, und entschuldigt sich, dass sie uns nicht mehr als zehn Minuten ihrer Zeit widmen kann; um elf Uhr steht die nächste Besprechung an. Wir haben überlegt, wie wir unsere Geschichte aufbauen und womit wir anfangen sollen.
»Das Erdbeben in Istanbul wurde von einer Person sehr genau vorausgesehen. Wir haben Grund zu der Annahme, dass sie Zugang zu einem speziellen Prognosesystem besitzt.« Er klingt professionell, aber ich bemerke Karla Fitzgeralds sofortigen, leisen Schock. »Dasselbe System hat es dieser Person möglich gemacht, das Datum des Hurrikans in Rio Wochen im Voraus zu bestimmen«, drängt er weiter. An den Wänden hängen Fotos von Kindern. Vielleicht ihre eigenen, von früher. Nein: Enkelkinder. »Nun spekuliert dieselbe Quelle …«
Doch Karla Fitzgerald ist abrupt aufgestanden und hebt warnend die Hand. Sie kommt um ihren Schreibtisch herum und setzt sich neben Frazer Melville aufs Sofa. Mit rutscht das Herz in die Hose.
Ich habe so viel Mitleid erfahren, dass ich es blind erkenne.
»Bevor Sie weitersprechen, möchte ich Ihnen sagen, dass uns diese Informationen nicht neu sind, Dr. Melville«, sagt sie sanft, als spräche sie mit einem ihrer Enkelkinder. »Wir haben schon von diesen Vorhersagen gehört. Und woher sie stammen. Wir sind auch der Meinung, dass es sich um einen erstaunlichen Zufall handelt. Aber nicht mehr.« Hat Bethany sie selbst kontaktiert? »Vor einiger Zeit wurden mehrere Organisationen, darunter |194| auch unsere, von einer zutiefst gestörten Frau angesprochen. Sie behauptete, die Katastrophen würden von einem Kind in einer psychiatrischen Klinik verursacht, in der sie gearbeitet hat. Irgendwo an der Südküste. Hadport, glaube ich.« Es gibt nichts zu sagen. Karla Fitzgerald scheint das alles zu bedauern. »Wie hieß das Mädchen doch gleich … Bethany?« Frazer Melville blickt auf seine Hände. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie beide sich die Zeit genommen haben und hergekommen sind. Viele Leute machen sich Sorgen wegen dieser Dinge, zu Recht«, erklärt Karla diplomatisch. »Wir sagen
Weitere Kostenlose Bücher