Endzeit
ihnen immer, dass sie mit einer Spende am besten helfen können oder indem sie selbst in der Organisation aktiv werden. Ich habe hier einige Aufnahmeanträge.« Sie geht zu ihrem Schreibtisch und greift in eine Schublade. Dann fächert sie lächelnd farbige Blätter auf. »Sind Sie vielleicht daran interessiert?«
Zutiefst gedemütigt fahren wir schweigend nach Hause.
Sex ist ein tolles Heilmittel, aber der Physiker zeigt immer noch kein Interesse. Er zuckt zurück, sobald ich ihn berühre. Ich fühle mich abgewiesen, obwohl ich weiß, dass es nichts zu bedeuten hat. Nichts bedeuten muss. Nicht zwangsläufig etwas bedeutet. Ich sollte besser nach Hause fahren, begehe aber den Fehler zu bleiben. Stattdessen …
Nach den Regeln des Anti-Aggressions-Trainings, die ich erst kürzlich einem Haufen mürrischer psychotischer Teenager eingebläut habe, darf man nicht zulassen, dass sich Gefühle von Ärger, Kränkung und Niederlage aufstauen. Man kann nicht wissen, was in anderen vorgeht, so wie man die Welt nicht zwingen kann, so zu sein, wie man sie gern hätte. Doch sobald der Physiker und ich in eine hitzige Diskussion verfallen, versage ich auf der ganzen Linie und kann mich nicht mehr an das halten, was ich mir selbst und anderen immer gepredigt habe. Ich bestehe darauf, dass wir mehr unternehmen müssen, dass irgendetwas Erfolg haben wird. Er leidet noch immer unter unserer Niederlage und will wissen, |195| was das bitte sein soll, nachdem wir alle Brücken hinter uns abgebrochen haben. Mit anderen Leuten reden, sage ich. Leuten, die uns glauben. Seine Reaktion ist ätzend.
»Paranoiker aus dem Internet. Ökofanatiker. Hellseher. Leute am äußersten Rand. Leute, um die man am liebsten einen großen Bogen macht. Leute wie die, die Sheldon-Gray für dich gegoogelt hat. Freaks in Prag und Mystiker in Yucatan. Scheiß-Apokalypse. com. Vergiss es.«
Insgeheim bin ich seiner Meinung, kann aber dem Pessimismus nicht das Feld überlassen. Wir gehen im Streit auseinander. Er sieht aus, als hätte er in zwei Wochen fünf Kilo abgenommen, was ihm gar nicht steht. Ich sollte eigentlich einen gewissen Einblick in die menschliche Psyche haben. Heute habe ich ihn nicht.
Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit komme, teilt man mir am Empfang mit, dass Dr. Sheldon-Gray mich wegen eines »Vorfalls« sprechen möchte, in den Bethany Krall verwickelt war. In seinem Büro stelle ich fest, dass er sich heute ganz förmlich und staatsmännisch gibt, als wäre der nächste Schritt in seiner Karriere eine Kandidatur für die UNO. Leider gebe es schlechte Neuigkeiten. Bethany befinde sich in der Notaufnahme des St. Swithin’s Hospital. Es gehe ihr »nicht sonderlich gut«.
»Was ist passiert?«
»Elektrischer Schlag. Sie beschaffte sich eine Metallgabel und steckte sie in eine Steckdose. Wurde natürlich ohnmächtig. Verbrennungen der Hände und an den Armen hinauf. Ein Wunder, dass sie nicht gestorben ist. Gummisohlen. Ach ja, und vorher hat sie sich den Kopf rasiert.«
»Ganz?«
»Es sah aus wie ein Ritual. Man behält sie noch im Krankenhaus.« Irgendetwas ist im Busch. Das spüre ich genau. Er hat einen Plan.
»Was jetzt?« Ich frage mich, wie ich mich am besten verhalten soll.
|196| Er legt die Hände auf den Tisch, spreizt die Finger und schaut mich trotzig an. »Ich lasse sie nach Kiddup Manor verlegen.« Die Todeszelle der modernen Psychiatrie.
Im nachfolgenden Schweigen hebt er die Hände und legt sie wie zum Gebet gefaltet vor den Mund. Die blauen Augen wandern prüfend über mein Gesicht. Wenn ich etwas sage, werde ich mich durch das Zittern meiner Stimme verraten. Also schweige ich. Ich nicke, als wäre Bethanys Verlegung in eine der brutalsten Einrichtungen des Landes tatsächlich eine Überlegung wert und mir völlig gleichgültig.
»Irgendwelche besonderen Gründe?«, bringe ich schließlich heraus.
»Ich halte mich nur an die Richtlinien. Sie sind sehr deutlich, wenn es um wiederholte Selbstverletzung geht. Hier ist ein neuer Ansatz erforderlich.«
»Sind Sie sich darüber im Klaren, was dort mit ihr geschehen wird?«, frage ich so ruhig wie möglich. »Sämtliche Fortschritte, die sie hier gemacht hat, gehen verloren. Man wird sie mit Medikamenten vollpumpen, bis sie nur noch vor sich hin vegetiert.«
Er zuckt mit den Schultern. »Immerhin vegetiert sie in Sicherheit vor sich hin. Ist nicht länger eine Gefahr für sich und andere. Das Experiment mit der EKT war ein Fehler.«
»Es hat
Weitere Kostenlose Bücher