Engel auf Abwegen
Sie damit?«
Mr. Sensibel war verwirrt. »Ah … ich meine … wir meditieren eine Stunde lang.«
»Sie meinen, wir sollen einfach hier sitzen? Und nichts tun?«
Lalee kicherte und flüsterte mir zu, ich solle aufhören. Als ob ich einen Witz gemacht hätte!
»Die Meditation ermöglicht Ihnen, Ihren Kopf freizumachen,
Miss Ware. Sie ist ein Weg zum Frieden und zur Harmonie.«
Hätte ich mich nicht daran erinnert, warum ich hier war, wäre ich umgehend rausgegangen. Alle starrten mich an.
»Wunderbar«, erwiderte ich mit einem nicht gerade freundlichen Lächeln. »Ich bin ganz und gar für Frieden und Harmonie.«
Gehorsam setzten wir uns auf die Matte, nahmen den Lotussitz ein, legten die Handflächen auf unsere Knie und fingen an.
»Schließen Sie die Augen.«
Großartig.
»Entspannen Sie sich.«
»Lassen Sie Ihre Gedanken ziehen.«
Das passierte dauernd.
»Entschuldigung?«
Alle öffneten die Augen und schauten mich an.
Ups, ich hatte das letzte Wort laut gesagt. Aber ich bin kein Narr, ich schaute mich um.
Mr. Frieden und Harmonie wurde ein wenig ärgerlich. »Wir beginnen noch mal von vorn.«
Augen schließen. Entspannen. Gedanken ziehen lassen. Was auch immer.
Ich konzentrierte mich und schmiedete ernsthafte Pläne, wie ich Nikkis letzten Sponsor kriegen konnte. Ich würde Pilar auf keinen Fall gewinnen lassen.
Um mein Ziel zu erreichen, würde ich das ganze Nominierungskomitee in mein Haus zum Tee einladen. An meinen nach oben gestreckten Fingern zählte ich ab, wie viele das sein würden. Ich war gerade bei vier angekommen, als ich das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte. Ich öffnete die Augen und wäre beinahe aus der Haut gefahren, als ich
sah, dass Mr. Sensibel vor mir hockte und gar nicht mehr so sensibel aussah.
»Lassen Sie Ihre Gedanken ziehen«, sagte er.
Ich zog eine Braue hoch und schenkte ihm meinen besten Frede-Ware-Blick, woraufhin er sofort wieder nach vorn eilte.
Gott sei Dank dauerte das Ganze nur gute fünf Minuten, und wenn man die vielen Ablenkungen in Betracht zog, hatten wir nur noch etwas mehr als fünfundvierzig Minuten, um zu meditieren. Ein oder zwei Gäste waren ganz gut darin oder taten jedenfalls so, während wir anderen uns gegenseitig etwas zuflüsterten. Mr. Sensibel sah mich ein letztes Mal an – als wäre ich die Anstifterin gewesen -, dann ging er aus dem Zimmer.
Danach folgte das Mittagessen, bei dem noch mehr Kontakte geknüpft werden sollten, und das war auch gut so, weil das Essen scheußlich war und es noch mal diesen Kräutertee gab. Mein Koffein- und Zuckerspiegel war äußerst niedrig, und ich hatte das Gefühl, als müsse ich jemanden umbringen. Ich schaute mich nach Mr. Frieden und Harmonie um.
Die Mahlzeit bestand aus Tofu-»Hühnchen«-Salat, den keine der Frauen anrührte. Lalee rückte näher an mich heran. »Neues Management. Nächstes Jahr müssen wir wohl ins Velvet Door gehen.«
Das war meiner Meinung nach ein Jahr zu spät.
Nach dem Mittagessen hatte sich die Stimmung gebessert. Wir gingen in den Umkleideraum und freuten uns auf eine echte Entspannung. Die Frauen hatten sich für verschiedene Dinge angemeldet: Maniküre, Pediküre, Reflexzonenmassage. Ich hatte mich für die Massage entschieden.
In Kabinen mit Vorhängen, um den Anstand zu wahren, zogen sich die Frauen, die sich für die Massage entschieden hatten, aus und Bademäntel an. Als ich, von oben bis unten in einen Bademantel aus Frottee gewickelt, aus der Kabine kam, wurde ich Olga zugewiesen.
Eigentlich toleriere ich alle Menschen, aber ich hätte schwören können, dass diese Frau ein Mann war. Ich hätte bestimmt etwas gesagt, als ich ihr vor diesem merkwürdigen, gefliesten Raum begegnete, aber bevor ich irgendetwas herausbringen konnte, zeigte sie mit dem Finger auf mich, als wäre ich der Teufel, und schnauzte: »Nackt!«
Verwirrt blickte ich mich um. »Verzeihung?«
»Sie, nackt!«
Das war ich nun mal nicht und würde es auch nicht sein. Ich trug einen Bademantel wie jedes anständige Mitglied der Junior League, daher war ich verloren.
»Sie! Ziehen Sie! Sich aus!«
Sie hatte einen extrem starken Akzent (ganz zu schweigen davon, dass sie in Ausrufezeichen sprach), und wahrscheinlich gab sie mir in ihrer Muttersprache Befehle, die schwer zu verstehen waren. Sie konnte unmöglich von mir verlangen, dass ich mich auszog. Ich wusste, dass Massagen auf gepolsterten Tischen durchgeführt wurden, in warmen Räumen mit parfümierten Kerzen und mit
Weitere Kostenlose Bücher