Engel auf Abwegen
für Jahrzehnte gesichert. Aber ab und zu wurden neue Leute aufgenommen, freundeten sich miteinander an und bildeten Bündnisse. Sie kamen ins Komitee, in der Annahme, dass sie die unausgesprochenen »Gesetze« der Erbfolge kannten, und dann unterminierten sie das System, indem sie ihre Freundinnen mit hineinbrachten, und damit war die Machtfolge unterbrochen. Es wurden neue Weichen gestellt, und die »Parvenüs« rissen die Macht an sich.
Ich fragte mich, ob Pilar die Absicht hatte, dies zu tun. Obwohl sie mit Ausnahme ihres kurzen Aufenthaltes im Norden der USA ihr Leben lang in Willow Creek gewohnt hatte, war ihre Familie nie Teil dieser Machtfolge gewesen. Wenn sie Präsidentschaftskandidatin und danach Präsidentin werden würde, würde in der Tat ein Parvenü die Macht übernehmen.
Ich hatte ziemlich viel zu tun. Da war die Sache mit meinem verschwundenen Mann, das fehlende Geld und eine neureiche Frau, die neuerdings unheimlich eingebildet war und der ich versprochen hatte, sie in die League zu bringen. Aber wenn irgendjemand annahm, dass ich mich zurücklehnen und die Dinge einfach geschehen lassen würde, dann war er auf dem Holzweg. Ganz besonders Pilar Bass.
»Pilar, Liebes!«, sagte ich schmeichelnd. »Schau mal, wie schön du aussiehst in diesen schwarzen Sachen!«
»Was machst du denn hier?«, wollte Pilar wissen. »Du stehst doch gar nicht auf der Liste.«
So viel zu Formalitäten und Pilars einstiger Bekundung unechter Freundschaft.
»Ich wollte mir den Spaß nicht entgehen lassen, Liebes.«
Es sah nicht so aus, als würde sie mir glauben, und das wollte ich auch gar nicht. An diesem Tag wollte ich nur an den Events teilnehmen, lächeln und alle daran erinnern, mit wem sie es zu tun hatten. Ganz besonders Pilar. So einfach war das.
Pilars Freundin Eloise ging auf sie zu und lenkte sie ab. »Pilar! Alle sagen, was Nikki für ein Hit ist!«, schwärmte sie. Dann sah sie mich. »O Frede!«
Eloise sah aus wie Nicole Kidman, bevor diese berühmt und mit Tom Cruise verheiratet war. Sie trug eine weiße Bluse, einen khakifarbenen Rock und weiße Schuhe mit Söckchen. Sie hatte naturblondes, welliges Haar, das sie mit einer Schleife zurückgebunden hatte. Sie war süß und höflich, sagte nur nette Sachen über die Leute und war bei weitem das liebenswerteste Mitglied in der JLWC.
»Hallo, Eloise, wie geht es dir?«
»Wunderbar! Einfach wunderbar! Es macht mir so viel Spaß. Weißt du, dass dies das erste Mal ist, dass ich jemanden gesponsert habe? Das erste Mal, dass ich in Klausur gegangen bin!«
»Apropos Klausur«, sagte ich, »ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, dir dafür zu danken, dass du dich meiner Gruppe angeschlossen hast, um Nikki zu sponsern.«
»Deiner Gruppe?« Eloise sah Pilar an, und auf ihrer blassen Stirn bildeten sich Falten.
Pilar lachte ein wenig spröde und gezwungen.
Dann kam Nikki herein, und wenn ihr Benehmen auf ihrer geheimen Teeparty (wie unbeabsichtigt das Geheimnis auch gewesen war) eine Überraschung gewesen war, so war ihr Verhalten in der Klausur äußerst schockierend. Sie
sah, wesentlich mehr als ich, wie ein Mitglied der Junior League aus. »Hallo, Frede.«
Ihr Enthusiasmus war verschwunden und ihr Ton vornehm, als hätte sie jeden Abend vor dem Spiegel geübt.
»Wie geht es dir?«, fragte sie mit einer aufgesetzten Freundlichkeit, die geradezu Scheißegal! schreit . Offensichtlich hatte meine Nachbarin an dieser Art von hochmütiger Verachtung Gefallen gefunden.
Ich wusste, dass Erfolg (besonders wenn er so plötzlich kam) eine Person verderben konnte. Aber wer hätte gedacht, dass der Erfolg Nikki so schnell zu Kopf steigen würde, besonders weil ihr immer noch ein Sponsor fehlte … und weil sie in einem ziemlich geschmacklosen Pseudopalast wohnte, mit einem Mann, zu dem die Mitglieder der gehobenen Gesellschaft nur dann gingen, wenn es dringend erforderlich war.
Für Hochnäsigkeit war es noch viel zu früh.
»Ladys!«, verkündete Lalee. »Es wird Zeit.«
Wir gingen ins Restaurant, wo uns Tee serviert wurde. Kräutertee. Heiß und ohne Zucker. Der Morgen fing nicht gerade gut an.
Lalee eröffnete das Treffen und stellte jeden »Gast« kurz vor. Danach hatte wir eine Stunde Zeit, um die Frauen kennenzulernen, ehe wir uns dem angenehmeren Teil des Events widmeten. Dem eigentlichen Kuren.
Ich hörte dem Gelabere der Frauen nur mit halbem Ohr zu, lächelte und nickte höflich. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Gruppe von angeberischen
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