Engel auf Abwegen
Gefühle.
»Komm zu ihrer Party«, bettelte ich. »Du brauchst ja nicht zuzustimmen, aber es wäre schön, wenn du deine eigene Tochter unterstützen würdest.«
»Meine Tochter in ihrem törichten Verhalten noch unterstützen?« Sie seufzte ins Telefon. »Warum machst du das?«
Ich bleibe ziemlich kühl, wenn ich unter Druck stehe,
und wollte ihr nicht die Wahrheit sagen. »Ich glaube, die League könnte ein wenig neues Blut vertragen.«
Meine Mutter lachte.
»Das bezweifle ich«, sagte sie. »Aber schön. Ich komme.«
Meine Mutter drängte nie, die Wahrheit zu erfahren, wenn sie annahm, sie würde ihr nicht gefallen, zumindest was mich betraf. Sie handelte oft nach dem Motto: Stell keine Fragen, sag nichts, so dass sie sich nicht verpflichtet fühlte, irgendetwas zu tun, was sie als unangenehm empfand. Für meine Mutter war diese Art weit besser gewesen als der Militärdienst.
»Zumindest ist es ein Vorwand, mir dieses schreckliche Monstrum, das sie Zuhause nennen, einmal anzusehen.«
Meine Mutter war ein Snob – um genau zu sein, ein zu keiner Entschuldigung geneigter Snob. Man sollte annehmen (wie fast alle in der Stadt), sie entstamme einer vornehmen alten Familie mit Unmengen von Geld. Aber das war nicht der Fall. Es war mein Vater, der das Geld der Familie mit in die Ehe gebracht hatte. Was beweist, dass die schlimmste Art von Snob häufig ein neureicher Snob ist.
Die Version meiner Mutter, wie sie meinen Vater kennengelernt hatte, lautet ungefähr so:
»Sobald er mich sah, musste dein Vater mich unbedingt haben. Ich war in der Cafeteria von Willow Creek – sie sagt nicht, dass sie das Essen dort servierte und nicht selber aß -, und in dem Augenblick, als er Hallo sagte, war es Liebe auf den ersten Blick.«
Über die Familie meines Vaters befragt, sagt sie, wie sehr sie sie geliebt hatten. Seine Eltern sind nun tot, deshalb ist es schwer, dies zu widerlegen. Zum Leidwesen meiner
Mutter lebt die Schwester meines Vaters noch. Sie erzählt eine völlig andere Geschichte.
Tante Cordelia sagt, meine Mutter war der Hildebrand-Familie sofort unsympathisch. Sie ließen sie unzählige Male wissen, dass sie sie nicht mochten, was, wie meine Tante sagte, meinen Vater in gleichem Maße amüsierte, wie es meine Mutter verrückt machte.
An dem Tag, als meine Mutter die Hildebrands kennenlernte, nahm mein Vater sie mit ins Stadthaus der Familie in der Nähe vom Hildebrand Square, östlich der Hauptstraße, die nach Willow Creek führt. Es war ein riesengroßes viktorianisches Haus mit einer Veranda, die um das ganze Haus herumführte, und einem grünen Rasen, auf dem Weiden standen.
Meine Mutter hatte sich an jenem Tag große Mühe mit ihrem Aussehen gegeben. Sie hatte sich bei JC Penney extra zu diesem Anlass ein Kleid gekauft. Es war schreiend hell, bauschte sich und wurde von einem Gürtel in der Taille zusammengehalten. Der Rock schwang hin und her und war mit üppigen roten Rosen übersät. Sie hatte rote hochhackige Schuhe gekauft (eine Farbe, die Frauen mit dem untersten Niveau vorbehalten war), eine dazu passende Handtasche, brandneue Handschuhe und einen weißen Hut mit einer unechten roten Rose auf dem Hutband.
Ihre Kleidung war nicht nur geschmacklos, sie war auch genau das Gegenteil der einfachen, aus feinen Stoffen gefertigten Kleidung der Hildebrand-Frauen, der durch einfache Perlen, geschmackvolle Broschen und Kameen aus Elfenbein ein wenig Glanz verliehen wurde. Das Blumenkleid meiner Mutter schwang um ihre Fesseln herum und roch nach extravaganter Unangemessenheit, ähnlich wie der Geruch verbrannter Eier, der noch lange, nachdem
die Pfanne vom Herd genommen worden war, in der Luft hängt.
Meine Tante hätte mir die Geschichte niemals erzählen sollen, wie sie ohne weiteres zugab. Aber das hielt sie keineswegs davon ab, mir noch mehr zu erzählen. Meine Tante zollte meiner Mutter Anerkennung dafür, dass sie eine ziemlich rasche Auffassungsgabe hatte, denn danach trug sie nie mehr einen bunten Rock mit Blumenmuster. In den folgenden Jahren war meine Mutter dafür bekannt, dass sie steife Kostüme, Schuhe mit niedrigen Absätzen und teuren, wenn auch geschmackvollen Schmuck trug – genau das Image des alten Geldadels. Aber ich schweife völlig vom Thema ab.
Meine Großmutter väterlicherseits war eine fantastische Frau. Sie herrschte mit eiserner Faust über ihre Familie – mit Ausnahme meines Vaters, dem als Einzigen in der Familie ihre stahlharte Persönlichkeit nichts anhaben
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