Engel auf Abwegen
meine Gute« – sie hasste es, wenn er sie so nannte -, »was werden deine anständigen Freundinnen in der Junior League dazu sagen, wenn ich eine Frau zu deiner Dinnerparty begleite und bereits mit einer anderen verheiratet bin?«
Tante Cordelia schwor, dass ihre Mutter beinahe einen Schlaganfall erlitten hätte und auf den hübschen Holzboden gefallen wäre. Aber Felicia Hildebrand tat nichts, was derart schwach war. Sie holte noch nicht einmal einen Stuhl. Wohlerzogen, wie sie war, stand sie auf und maß meine Mutter mit einem eiskalten Blick. Dann wandte sie sich wieder an meinen Vater.
»Du bist weder katholisch noch mittellos. Entweder du löst diese Ehe auf, die nicht nur für dich, sondern auch für dein Familienerbe eine Schande ist, oder du bist in diesem Haus nicht länger willkommen.« Sie blickte meine Mutter ein letztes Mal an. »Die Wahl liegt bei dir.«
Meine Tante beendete ihre Geschichte immer mit einem leiderfüllten Schnüffeln und fügte dann hinzu, dass mein Vater seine Wahl traf und seine Mutter – »Eine Heilige, sage ich dir«, fügte sie dann immer hinzu – schließlich
nachgab. Zumindest oberflächlich gesehen. Bis zum Ende ihrer Tage hat sie sich nie mit meiner Mutter verstanden, egal, welch hohes Ansehen die Tochter von Daisy Jane und Wilmont Pruitt erworben hatte und wie hoch sie die Leiter in der Junior League hinaufkletterte.
Blythe Pruitt Hildebrand war genauso wohlerzogen und hochnäsig wie meine Tante und meine Großmutter und wurde schließlich von ihrer eigenen Familie in Burserville verstoßen. Meine Mutter war so angesehen, dass ich mich an manchen Tagen fragte, ob sie die Geschichte in ihrem Kopf umgeschrieben hatte, bis sie selbst daran glaubte.
Was auch immer, ich hoffte nur, meine Mutter würde mich dabei unterstützen, Nikki Grout in die Junior League aufzunehmen, und nicht zu meiner größten Widersacherin werden.
9
In den nächsten Tagen rief ich den Künstler einige Male an, erhielt jedoch keine Antwort, bis zu dem Morgen, an dem Nina und ich draußen im Garten beschäftigt waren. Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter lautete schlicht und einfach: Hier ist Sawyer Jackson. Ich bin an der Ausstellung nicht interessiert, also rufen Sie mich nicht mehr an.
Dieser ungehobelte Künstler hatte mich abgewiesen. Ich konnte es nicht glauben.
Ich war daran gewöhnt, dass sowohl Männer als auch Frauen wegen meines Geldes an mir interessiert waren. Ein Mädchen aus reichem Hause gewöhnt sich an diese Art Aufmerksamkeit. Hinzu kamen mein gutes Aussehen und mein unwiderstehlicher Charme, und automatisch zog ich die Männer magisch an. Meine sensationelle Persönlichkeit veranlasste die Leute, zu glauben, dass ich immer für sie da war, und somit war ich auch ein Magnet für Frauen. Ich hatte nicht viel Erfahrung mit schwulen Männern, aber wer würde mich nicht lieben? Mit Ausnahme meines Mannes natürlich, der mich belogen und betrogen hatte.
Daher warf ich mich am nächsten Morgen nach dem Aufwachen in ein pfirsichfarbenes Ensemble, das meine Pfirsich- und Sahnehaut noch unterstrich. Ich nahm die Adresse, die Nikki mir gegeben hatte, und machte mich auf den Weg zur Garage.
»Wo Sie hingehen?«, wollte Nina wissen.
Mit meinem Scarlett-O’Hara-Charme und in gehobener Sprechweise sagte ich: »Um mir einen Künstler zu angeln, mein Schatz.«
Ich wusste bereits, dass er auf der falschen Seite von Willow Creek wohnte, aber ich hatte nicht gewusst, dass das am äußersten Rand jenes Stadtteils war. Nachdem ich die Gleise nahe der Stadtgrenze von South Willow Creek überquert hatte, wäre ich beinahe in eine Gruppe Demonstranten gefahren, die Schilder mit der Aufschrift »Großkapitalisten geht nach Hause« trugen.
Einen Augenblick lang dachte ich, dass die Schilder mir galten, aber dann erkannte ich, dass ihr Protest auf ein Baugrundstück gerichtet war, auf dem Bulldozer bereits einige Häuserblocks niedergerissen hatten, die es meiner Meinung nach verdient hatten, abgerissen zu werden.
Ich fuhr um die Gruppe herum durch die engen Straßen mit Häusern, deren Anstrich die Farbe von ausgeblichenen Ostereiern hatte, und bekam mehr Aufmerksamkeit als Miss Texas beim Badeanzugwettbewerb. South Willow Creek sah aus wie viele Stadtteile – es war voller heruntergekommener Gebäude, von denen die Farbe abbröckelte, ungemähter Rasenflächen und zugenagelter Fenster. Nachdem ich die Adresse gefunden hatte, hielt ich vor einem Haus, das man nur als Minihacienda bezeichnen
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