Engel aus Eis
immer skeptisch. »Wir sprechen hier ja nicht von jungen Menschen. Ich meine, in ihrem Alter kann eine ganze Menge passieren: Schlaganfall, Herzinfarkt, alles Mögliche.«
»Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass hier weder ein Herzinfarkt noch ein Schlaganfall vorliegt«, rief der Arzt aus dem Schlafzimmer. Martin und Erica fuhren zusammen.
»Was dann?« Martin stellte sich direkt hinter den Arzt an Brittas Bett. Erica blieb im Türrahmen stehen, reckte aber den Hals, um besser sehen zu können.
»Diese Dame hier wurde erstickt.« Der Arzt zeigte mit der einen Hand auf Brittas Augen und öffnete mit der anderen ein Lid. »Sie hat Petechien in den Augen.«
»Petechien?«, fragte Martin.
»Das sind rote Punkte im Augapfel. Sie bilden sich, wenn aufgrund von erhöhtem Blutdruck winzige Gefäße platzen, und sind ein typisches Zeichen für Ersticken, Erdrosseln und Ähnliches.«
»Könnte ihr denn nicht etwas anderes zugestoßen sein, das dazu führte, dass sie keine Luft mehr bekam? Hätte sie dann nicht die gleichen Symptome?«, fragte Erica.
»Das ist natürlich möglich«, antwortete der Arzt. »Aber da ich schon bei einer ersten Untersuchung eine Feder in ihrem Rachen erkennen kann, würde ich mit ziemlicher Sicherheit darauf tippen, dass dies die Mordwaffe ist.« Er zeigte auf ein weißes Kissen neben Brittas Kopf. »Allerdings zeigen die Petechien, dass auch Druck direkt auf den Hals ausgeübt worden sein muss, als wäre sie gleichzeitig mit der Hand gewürgt worden. Aber all diese Fragen wird die Obduktion beantworten. Eins steht jedenfalls fest: Solange mich der Rechtsmediziner nicht vom Gegenteil überzeugt, werde ich nicht auf den Totenschein schreiben, dass es sich um eine natürliche Todesursache handelt. Von nun an ist das hier als Tatort zu betrachten.« Er stand auf und verließ vorsichtig den Raum.
Martin tat es ihm nach und rief die Kriminaltechniker an, die den Raum minuziös untersuchen würden.
Nachdem er alle nach unten geschickt hatte, ging er wieder in die Küche und setzte sich zu Herman. Margareta sah ihm an, dass etwas nicht stimmte, und es zeichnete sich eine tiefe Furche zwischen ihren Augenbrauen ab.
»Wie heißt Ihr Vater?«
»Herman.« Die Kerbe wurde noch tiefer.
»Herman«, sagte Martin. »Können Sie mir erzählen, was hier passiert ist?«
Zuerst erhielt er keine Antwort. Nur die Sanitäter waren zu hören, die sich im Wohnzimmer leise unterhielten. Dann blickteHerman auf und sagte laut und deutlich: »Ich habe sie umgebracht.«
Der Freitag brachte herrliches Spätsommerwetter. Mellberg ließ Ernst von der Leine und streckte die Beine aus. Der Hund schien den Altweibersommer genauso zu genießen wie er.
»Tja, mein Lieber«, Mellberg blieb stehen und wartete, weil der Hund das Bein an einem Gebüsch gehoben hatte, »heute Abend schwingt Papi wieder die Hufe.«
Ernst sah ihn fragend an und legte den Kopf schief, setzte dann jedoch sein Geschäft fort.
Mellberg ertappte sich selbst dabei, wie er voller Vorfreude auf den abendlichen Kurs und Ritas Körper vor sich hin pfiff. Salsa hatte es ihm wirklich angetan, so viel war klar.
Seine Miene verdüsterte sich, als seine Gedanken von den heißen Rhythmen zu den Ermittlungen wanderten. Es war doch zum Mäusemelken, dass man in diesem Ort nie seine Ruhe hatte. Dass die Leute sich aber auch dauernd den Schädel einschlagen mussten. Der eine Fall war wenigstens leicht zu lösen. Der Ehemann hatte ja bereits gestanden. Nun brauchten sie nur noch den Obduktionsbericht abzuwarten, und die Sache war erledigt. Was Martin Molin da die ganze Zeit vor sich hin faselte, es sei doch etwas merkwürdig, dass jemand ermordet wurde, der eine Verbindung zu Erik Frankel hatte, ließ ihn ziemlich kalt. Menschenskind, soweit er die Sache verstanden hatte, waren sie in ihrer Jugend befreundet gewesen. Vor sechzig Jahren. Das war doch eine Ewigkeit her und hatte mit diesem Mordfall nicht das Geringste zu tun. Der Gedanke war absurd. Er hatte Martin Molin trotzdem gestattet, sich die Sache anzusehen, Einzelverbindungsnachweise zu überprüfen und diese Dinge. Mellberg war ganz sicher, dass Martin keinen Zusammenhang finden würde, aber nun gab er wenigstens Ruhe.
Plötzlich merkte er, dass seine Füße ihn zu Ritas Haus getragen hatten. Ernst stellte sich vor die Tür und wedelte heftig mit dem Schwanz. Mellberg sah auf die Uhr. Elf. Der perfekte Zeitpunkt für eine kleine Kaffeepause. Falls sie da war. Er zögerte einen Moment, doch dann
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