Engel aus Eis
sich gestern am Telefon mit dem Namen Åke Grundén vorgestellt hatte. »Ich bin einer von Schwedens bedeutendsten Ikonensammlern«, lächelte er, während sie Platz nahmen.
»Sie sind wirklich schön.« Erica sah sich interessiert um.
»Viel mehr als das, meine Liebe!« Strahlend vor Stolz betrachtete er seine Sammlung. »Sie sind Träger einer Geschichte und einer Tradition, die … großartig ist.« Er hielt inne und setzte sich eine Brille auf. »Aber da ich dazu neige, bei diesem Thema ins Schwärmen zu geraten, sollten wir uns Ihrem Anliegen zuwenden. Es hörte sich interessant an, finde ich.«
»Orden aus dem Zweiten Weltkrieg sind Ihr zweites Fachgebiet, nicht wahr?«
Er sah sie über den Rand seiner Brille an. »Wenn man vergessen hat, sich mit Menschen zu umgeben und sich stattdessen vor allem mit alten Gegenständen beschäftigt, wird man leicht etwas schrullig. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich die richtigen Prioritäten gesetzt habe, aber hinterher ist man ja immer klüger«, lächelte er. Erica erwiderte seinen freundlichen Blick. Seine leise Ironie gefiel ihr.
Während sie die Hand in die Tasche steckte und vorsichtig den Orden hervorholte, schaltete Åke eine starke Lampe auf dem Tisch ein. Ehrfürchtig beobachtete er, wie sie das Abzeichen aus dem Tuch wickelte.
»Ah …«Er legte es sich auf die Handfläche und studierte es sorgfältig, indem er es im starken Schein der Lampe drehte und die Augen zusammenkniff, um sich auch nicht das kleinste Detail entgehen zu lassen.
»Wo haben Sie das gefunden?«, fragte er schließlich und blickte sie wieder über die Brille an.
Erica erzählte ihm von der Kiste ihrer Mutter.
»Und soweit Sie wissen, hatte Ihre Mutter keine Verbindung zu Deutschland?«
Erica schüttelte den Kopf. »Jedenfalls keine, von der ich jemals gehört hätte. Aber ich habe in letzter Zeit einiges gelesen. Fjällbacka, wo meine Mutter aufgewachsen ist und ihr Leben verbracht hat, ist nicht weit von der norwegischen Grenze entfernt, und während des Krieges haben dort viele die norwegische Widerstandsbewegung im Kampf gegen die Deutschen unterstützt. Mein Großvater zum Beispiel hat zugelassen, dass mit seinem Boot Sachen nach Norwegen geschmuggelt wurden. Gegen Ende des Krieges brachte er sogar einen norwegischen Widerstandskämpfer mit her, den er bei sich einquartierte.«
»Es gab in der Tat recht viele Kontakte zwischen den Orten an der Küste und dem besetzten Norwegen. Auch die Provinz Dalsland hatte in dieser Zeit viel mit Deutschen und Norwegern zu tun.« Er schien laut zu denken, während er noch immer den Orden betrachtete.
»Ich habe keine Ahnung, wie er in den Besitz Ihrer Mutter gelangt sein könnte«, sagte er, »aber ich kann zumindest sagen, dass es sich um ein sogenanntes Eisernes Kreuz handelt, das für herausragende Leistungen während des Krieges verliehen wurde.«
»Gibt es eine Liste der Menschen, die diesen Orden bekommen haben?«, fragte Erica hoffnungsvoll. »Die Deutschen waren doch bekannt für ihre gute Verwaltung, im Guten wie im Bösen, und da müsste doch irgendetwas festgehalten …«
Åke schüttelte den Kopf. »So ein Verzeichnis existiert leider nicht, und ich kann auch nicht behaupten, dass dieser Orden besonders selten gewesen wäre. Dieses hier ist ein Eisernes Kreuz 1. Klasse, und davon wurden im Krieg ungefähr vierhundertfünfzigtausend Exemplare verteilt. Es lässt sich also unmöglich herausfinden, wem genau dieses verliehen wurde.«
Erica war enttäuscht. Sie hatte gehofft, durch den Orden mehr herauszufinden, doch nun erwies auch er sich als Sackgasse.
»Da kann man nichts machen.« Sie konnte ihre Niedergeschlagenheit nicht verbergen. Als sie aufstand und Åke zum Dank die Hand gab, bekam sie noch einen zarten Kuss.
»Es tut mir leid.« Er begleitete sie in den Verkaufsraum. »Ich wünschte, ich wäre Ihnen eine größere Hilfe gewesen.«
»Nicht so schlimm«, seufzte sie und öffnete die Tür. »Ich muss andere Mittel und Wege finden, denn ich will wirklich herausfinden, warum sich der Orden im Besitz meiner Mutter befand.«
Doch als die Tür hinter ihr zufiel, überkam sie eine große Hoffnungslosigkeit. Wahrscheinlich würde sie das Rätsel nie lösen.
Sachsenhausen 1945
D en Transport hatte er wie in einem Nebel erlebt. Vor allem erinnerte er sich, dass sein Ohr schmerzte und eiterte. Zusammengepfercht mit unzähligen anderen Gefangenen aus Grini saß er im Zug nach Deutschland und konnte sich auf nichts als seinen
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