Engel aus Eis
erinnern Sie sich noch an mich. Ich habe Britta besucht, und Sie wurden wütend auf mich.«
Zuerst dachte sie, Herman könnte – oder wollte – sie nicht hören. Dann wandte er sich ihr langsam zu. »Ich weiß, wer Sie sind. Elsys Tochter.«
»Das stimmt. Elsys Tochter.« Erica lächelte.
»Sie waren neulich … auch da.« Er sah sie an, ohne zu blinzeln. Erica wurde von einer seltsamen Zärtlichkeit für ihn erfüllt. Sie sah wieder vor sich, wie er neben seiner toten Frau lag und sich krampfhaft an sie klammerte. Nun sah er so klein und zerbrechlich aus. Das war nicht mehr der Mann, der sie beschimpfte, weil sie Britta in Aufregung versetzt hatte.
»Ja, ich war auch in Ihrem Haus. Mit Margareta.« Herman nickte nur. Beide schwiegen eine Weile.
»Ich versuche zurzeit, etwas über meine Mutter herauszufinden. So bin ich auch auf Britta gestoßen, und als ich mit ihr sprach, hatte ich den Eindruck, dass sie mehr weiß, als sie mir erzählen wollte oder konnte.«
Herman verzog das Gesicht zu einem merkwürdigen Lächeln, gab aber keine Antwort.
Erica nahm noch einmal Anlauf: »Meiner Ansicht nach ist es ein seltsames Zusammentreffen, dass zwei von den drei Personen, mit denen meine Mutter damals befreundet war, innerhalbvon so kurzer Zeit gestorben sind …« Sie wartete seine Reaktion ab.
Eine Träne lief ihm über die Wange. Er führte die Hand zum Gesicht und wischte sie ab. »Ich habe sie umgebracht.« Wieder starrte er an die Decke. »Ich habe sie umgebracht.«
Erica hörte, was er sagte, und laut Patrik sprach im Grunde nichts für das Gegenteil, aber sie wusste, dass Martin genauso skeptisch war wie sie, und in Hermans Stimme verbarg sich ein Unterton, den sie nicht richtig deuten konnte.
»Wissen Sie, worüber Britta nicht mit mir sprechen wollte? Ist damals in den Kriegsjahren irgendetwas passiert, das meine Mutter betraf? Ich finde, dass ich ein Recht habe, es zu erfahren«, sagte sie mit Nachdruck. Sie hoffte, dass sie einen offensichtlich instabilen Mann nicht zu sehr unter Druck setzte, aber sie wollte so gern wissen, was im Leben ihrer Mutter geschehen war, das sie möglicherweise so verändert hatte. Als sie keine Antwort bekam, fuhr sie fort: »Als Britta bei meinem Besuch immer verwirrter wurde, sagte sie etwas von einem unbekannten Soldaten, der flüsterte. Wissen Sie, was sie damit meinte? Sie hielt mich zu diesem Zeitpunkt für Elsy, und nicht für Elsys Tochter. Und sie sprach von einem unbekannten Soldaten. Was wollte sie mir damit sagen?«
Zuerst konnte sie den Laut, den Herman von sich gab, nicht einordnen. Dann begriff sie, dass er lachte. Es war die unendlich traurige Imitation eines Lachens. Sie wusste nicht, was so lustig war, aber vielleicht war es das ja auch gar nicht.
»Fragen Sie Paul Heckel. Und Friedrich Hück. Die können Ihnen eine Antwort geben.« Er lachte wieder, immer lauter, bis das ganze Bett wackelte.
Obwohl ihr sein Lachen mehr Angst machte als seine Tränen, fragte sie: »Wer ist das? Wo finde ich diese Männer? Was haben sie damit zu tun?« Sie hätte Herman am liebsten geschüttelt, damit er sich deutlicher ausdrückte, doch in diesem Moment ging die Tür auf.
»Was geht hier vor sich?« Ein Arzt kam herein und blieb mit verschränkten Armen und grimmiger Miene im Türrahmen stehen.
»Entschuldigung, ich habe mich in der Tür geirrt, und der alte Mann sagte, er würde sich gern ein bisschen unterhalten, aber dann …« Sie stand abrupt auf und eilte mit schuldbewusster Miene aus dem Zimmer.
Mit klopfendem Herzen kam sie wieder beim Auto an. Zwei Namen hatte sie erfahren, von denen sie noch nie gehört und die keinerlei Bedeutung für sie hatten. Was hatten zwei Deutsche mit dieser Sache zu tun? Bestand zwischen ihnen und Hans Olavsen eine Verbindung? Er hatte schließlich vor seiner Flucht gegen die Deutschen gekämpft. Sie verstand überhaupt nichts mehr.
Während der gesamten Fahrt zurück nach Fjällbacka gingen ihr die beiden Namen nicht aus dem Kopf. Paul Heckel und Friedrich Hück. Das war merkwürdig. Sie war so sicher, noch nie von ihnen gehört zu haben, aber andererseits kamen sie ihr …
»Martin Molin.« Er ging nach dem ersten Klingeln ans Telefon, hörte einige Minuten lang aufmerksam zu und stellte zwischendurch nur kurze Fragen. Dann griff er nach seinem Block, auf dem er sich während des Gesprächs ein paar Notizen gemacht hatte, und ging zu Mellberg hinüber. Er fand ihn in einer seltsamen Position. Mellberg saß mit ausgestreckten
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