Engel aus Eis
können, was sie da gesagt hatte. An seinem Hals pochte eine Ader, und Frans sah ihn die Fäuste ballen. Er wollte nur noch weg. Vom Tisch aufspringen und rennen, bis er nicht mehr konnte. Stattdessen schien er am Stuhl festzukleben. Er konnte sich nicht rühren.
Dann kam die Explosion. Vilgots Faust traf Bodil am Kinn, und sie wurde nach hinten geschleudert. Der Stuhl fiel um, sie landete mit einem dumpfen Knall auf dem Fußboden und stöhnte vor Schmerz. Der Laut ging Frans durch Mark und Bein, doch statt Mitleid weckte er noch mehr Wut. Warum hatte sie nicht die Schnauze gehalten? Wieso zwang sie ihn, das hier mit anzusehen?
»Du hast also ein Herz für Juden.« Vilgot stand auf. »Hast du das?«
Bodil hatte es geschafft, sich umzudrehen, und nun hockte sie auf allen vieren und schnappte nach Luft.
Vilgot nahm Anlauf und trat sie in den Bauch. »Antworte mir? Habe ich eine Frau im Hause, die was für Juden übrighat? Unter meinem Dach?«
Sie gab keine Antwort, sondern versuchte bloß, ihm zu entkommen. Vilgot folgte ihr und versetzte ihr noch einen Tritt, der sie an der gleichen Stelle traf. Zuckend brach sie zusammen, kämpfte sich jedoch noch einmal hoch und unternahm einen neuen Versuch, aus dem Zimmer zu kriechen.
»Eine verfluchte Hündin bist du! Eine judenfreundliche Drecksau.« Vilgot spuckte die Worte regelrecht aus, und als Frans ihm ins Gesicht sah, konnte er dort einen lüsternen Genuss erkennen. Vilgot sammelte Kraft und trat wieder zu. Währenddessen überschüttete er sie mit einem Schwall von Schimpfwörtern. Dann sah er Frans an. Erregung glühte in seinem Gesicht. Frans kannte diesen Ausdruck nur zu gut.
»So, Junge, jetzt zeige ich dir, wie man Hündinnen behandeln muss. Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen. Sieh hin und merk es dir.« Schwer atmend fixierte er Frans und knöpfte sichdie Hose auf. Dann machte er ein paar Schritte auf Bodil zu, der es gelungen war, sich ein kleines Stück von ihm wegzuschleppen, packte ihre Haare mit der einen Hand und zog ihr mit der anderen den Rock hoch.
»Nein, bitte nicht … denk an … Frans …«, flehte sie ihn an.
Vilgot lachte bloß und zerrte ihren Kopf nach hinten, während er mit einem lauten Stöhnen in sie eindrang.
Der Klumpen in Frans’ Magen wurde hart. Es war ein großer kalter Klumpen Hass. Als seine Mutter den Kopf drehte und seinen Blick auffing – kniend, während sein Vater fest in ihren Unterleib stieß –, da wusste er plötzlich, dass nur dieser Hass ihn retten konnte.
K jell verbrachte den Samstagvormittag in der Redaktion. Da Beata mit den Kindern zu seinen Schwiegereltern gefahren war, nutzte er die ausgezeichnete Gelegenheit, nach diesem Hans Olavsen zu forschen. Bislang hatte er keinen Treffer erzielt. Es gab damals zu viele Norweger mit diesem Namen, und wenn er nicht ein Kriterium fand, mit dessen Hilfe er einige ausschließen konnte, würde sich die Aufgabe als unlösbar erweisen.
Er hatte die Artikel, die Erik ihm gegeben hatte, mehrmals gelesen, ohne einen konkreten Anhaltspunkt zu entdecken oder überhaupt zu begreifen, was sich nach Eriks Meinung in ihnen verbarg. Das verwunderte ihn am meisten. Wenn Erik Frankel wollte, dass er etwas herausfand, warum hatte er dann nicht einfach gesagt, was er meinte? Wozu diese kryptische Herangehensweise mit den Zeitungsartikeln? Kjell seufzte. Über Hans Olavsen wusste er nur, dass er während des Zweiten Weltkriegs im Widerstand gewesen war. Doch was sollte er mit dieser Information anfangen? Einen winzigen Augenblick lang zog er in Erwägung, seinen Vater zu fragen, ob er etwas über den Norweger wusste, schlug sich den Gedanken aber sofort aus dem Kopf. Lieber saß er hundert Stunden im Archiv, als seinen Vater um Hilfe zu bitten.
Archiv. Das war eine Idee. Waren die norwegischen Widerstandskämpfer irgendwo verzeichnet? Es musste doch eine Menge über das Thema geschrieben worden sein, und mit großer Wahrscheinlichkeit hatte irgendjemand eine wissenschaftliche Arbeit über die Bewegung geschrieben. Das war immer so.
Eröffnete die Suchmaschine in seinem Computer und probierte mehrere Begriffe in verschiedenen Kombinationen aus, bis er schließlich gefunden hatte, wonach er suchte. Ein Eskil Halvorsen hatte eine ganze Reihe Bücher über Norwegen im Zweiten Weltkrieg geschrieben und dabei besonderes Augenmerk auf den Widerstand gerichtet. Mit diesem Mann musste er sprechen. Kjell klickte sich zum norwegischen Telefonbuch im Internet durch und fand schnell
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