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Engel aus Eis

Titel: Engel aus Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla L�ckberg
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Titelseite stand: FRIEDEN.
    E s war merkwürdig. Vor einer Woche war ihm zum ersten Mal im Leben der Gedanke gekommen, dass sein Vater nicht unsterblich war, und am Donnerstag stand die Polizei vor seiner Tür und überbrachte die Todesnachricht. Die Intensität seiner Gefühle erstaunte ihn. Sein Herz schien einen Augenblick stehenzubleiben, und als er den Arm ausstreckte, konnte er die Hand seines Vaters fühlen. Seine kleine Hand in der großen. Dann glitten die Hände langsam auseinander. In diesem Augenblick begriff er, dass da die ganze Zeit etwas gewesen war, das noch stärker war als der Hass. Hoffnung. Nur sie hatte überlebt, nur sie hatte neben dem vernichtenden Hass existieren können, den er auf seinen Vater gehabt hatte. Die Liebe war schon lange tot, aber die Hoffnung hatte sich in einem kleinen Winkel seines Herzens sogar vor ihm selbst versteckt.
    Als er dort im Flur stand, nachdem er die Tür hinter den Polizisten geschlossen hatte, kam die Hoffnung zum Vorschein, und zusammen mit ihr ein Schmerz, von dem ihm schwarz vor Augen wurde. Denn tief im Innern hatte der kleine Junge Sehnsucht nach seinem Vater gehabt und gehofft, dass man die Mauern umrunden konnte, die sie zwischen sich errichtet hatten. Nun war ihm dieser Weg versperrt. Die Mauern würden zerbröckeln, aber eine Versöhnung würde es nicht mehr geben.
    Das ganze Wochenende über bemühte er sich zu begreifen, dass sein Vater nicht mehr lebte und dass er freiwillig in den Tod gegangen war. Obwohl Kjell immer im Hinterkopf gehabt hatte,dass dies ein mögliches Ende für ein in vielerlei Hinsicht destruktives Leben war, konnte er es trotzdem nur schwer fassen.
    Am Sonntag fuhr er zu Carina und Per. Bereits am Donnerstag rief er an und erzählte, was passiert war, konnte sich aber nicht überwinden, die beiden zu besuchen, bevor er nicht seine eigenen Gedanken und Eindrücke sortiert hatte. Als er bei ihnen ankam, war er äußerst erstaunt. Die Atmosphäre im Hause hatte sich so grundlegend verändert, dass er im ersten Moment gar nicht benennen konnte, was neu war. Dann rief er völlig verdutzt: »Du bist ja nüchtern!« Damit meinte er nicht den Augenblick, denn Momente ohne Alkohol hatte es in den vergangenen Jahren, wenn auch nicht allzu oft, immer wieder gegeben. Er spürte instinktiv, dass etwas anders war. Ruhe und Entschlossenheit hatten diesen gekränkten Blick ersetzt, mit dem sie ihn seit der Trennung angesehen und der ihn mit ungeheuren Schuldgefühlen erfüllt hatte. Auch Per hatte sich verändert. Sie hatten besprochen, was nach der Gerichtsverhandlung wegen der Körperverletzung passieren sollte, und der Sohn hatte ihn mit seiner Gefasstheit und seinen vernünftigen Ideen verblüfft. Als Per in sein Zimmer gegangen war, fasste Kjell sich ein Herz und fragte, was passiert war. Mit wachsender Verwunderung erfuhr er von dem Besuch seines Vaters. Irgendwie hatte er das geschafft, was Kjell seit zehn Jahren misslang.
    Das hatte alles noch schlimmer gemacht, weil es die Hoffnung bestätigte, die nun vergebens in seiner Brust schmerzte. Denn nun war er nicht mehr da. Worauf konnte Kjell jetzt noch hoffen?
    Er ging zum Fenster und blickte nach draußen. Für einen kurzen nackten Moment der Selbsterkenntnis betrachtete er sich selbst mit einem genauso harten Blick wie seinen Vater. Was er sah, erschreckte ihn. Natürlich hatte er seine Nächsten nicht ganz so brutal im Stich gelassen, und in den Augen der Gesellschaft war das, was er getan hatte, nicht so unverzeihlich. Aber war der Verrat deswegen weniger schlimm? Wohl kaum. Er hatte Carina und Per alleingelassen. Hatte sie weggeworfen wie Müllsäcke. Und Beata hatte er bereits verraten, bevor ihre Beziehung begann, weil er sie nie geliebt hatte. Nur das, wofür sie stand, damals, alser es in einem schwachen Moment brauchte. Sie selbst hatte er nie geliebt. Wenn er ehrlich war, mochte er sie nicht einmal. Nicht so wie Carina. So wie damals, als er sie zum ersten Mal auf diesem Sofa gesehen hatte, in dem gelben Kleid und mit einem gelben Band im Haar. Auch Magda und Loke hatte er im Stich gelassen. Denn die Scham, die er empfand, weil er ein Kind verraten hatte, verschloss alle Pforten in seinem Innern und machte ihn unempfänglich für die tiefe, ursprüngliche und alles überstrahlende Liebe, die er für Per schon empfunden hatte, als er ihn zum ersten Mal in Carinas Armen sah. Diese Liebe hatte er seinen und Beatas Kindern verweigert, und er bezweifelte, dass er sie noch einmal

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