Engel aus Eis
sie noch etwas herausgefunden haben?« Patrik wollte sich nicht nur Erica zuliebe erkundigen. Das Schicksal des Norwegers nahm ihn selbst ungeheuer mit, und das Wissen, dass Hans der Vater von Ericas Halbbruder war, hatte sein Interesse noch gesteigert.
»Würdest du das für mich tun?«, fragte Erica erfreut.
»Okay, ich mache es sofort.« Patrik stand auf.
Eine Viertelstunde später kam er wieder herauf. Erica sah ihm sofort an, dass er Neuigkeiten hatte.
»Es hat sich ein mögliches Motiv für den Mord an Hans Olavsen herauskristallisiert«, sagte er.
Sie hatte Mühe, ruhig sitzen zu bleiben. »Und?«
Patrik zögerte einen Moment, bevor er weitergab, was er von Martin erfahren hatte.
»Hans Olavsen war kein Widerstandskämpfer. Er war der Sohn eines hochstehenden SS-Offiziers und hat während der Besatzung in Norwegen selbst für die Deutschen gearbeitet.«
Es wurde vollkommen still im Raum. Erica starrte ihn an und war ausnahmsweise sprachlos. Patrik fuhr fort: »Und Kjell Ringholm hat heute einen Abschiedsbrief von Frans in die Dienststelle gebracht, der mit der Post gekommen ist. Frans gesteht den Mord an Britta und schreibt, er trage auch die Schuld an Eriks und Hans’ Tod. Hier hat sich Martin jedoch etwas vage ausgedrückt. Ich fragte ihn, ob das seiner Ansicht nach bedeutet, dass Frans die Morde an Erik und Hans ebenfalls zugibt, aber darauf wollte er sich nicht festlegen.«
»Wie meint er das? Er trägt die Schuld? Was heißt das?«, fragte Erica, als sie endlich die Sprache wiedergefunden hatte. »Und Hans soll kein Widerstandskämpfer gewesen … Wusste meine Mutter das? Wie …?« Sie schüttelte den Kopf.
»Wie siehst du es? Du hast schließlich die Tagebücher gelesen. Wusste sie es?« Patrik setzte sich wieder.
Erica dachte nach, schüttelte den Kopf und sagte entschieden: »Nein. Das glaube ich nicht. Auf keinen Fall.«
»Die Frage ist, ob Frans es irgendwie herausbekommen hat.« Patrik überlegte laut. »Aber warum schreibt er nicht ausdrücklich, dass er sie ermordet hat? Wieso sagt er, er sei schuld daran?«
»Hat Martin dir erzählt, wie sie jetzt weitermachen wollen?«
»Nein, er verriet mir nur, dass Paula plötzlich eine Idee hatte und dass sie sich jetzt auf den Weg machen, um sie zu überprüfen. Wenn er mehr weiß, meldet er sich. Er klang ziemlich optimistisch«, fügte Patrik hinzu und verspürte einen kleinen Stich. Eswar ungewohnt und ein wenig belastend, nicht im Mittelpunkt der Ereignisse zu stehen.
»Ich sehe dir an, was in dir vorgeht«, grinste Erica.
»Wenn ich behaupten wollte, dass ich jetzt nicht gerne in der Dienststelle wäre, müsste ich lügen«, erwiderte Patrik, »aber ich möchte es nicht anders haben, und ich glaube, das weißt du auch.«
»Na klar«, sagte Erica, »und ich kann dich verstehen. Es ist ganz normal.«
Wie zur Bekräftigung ertönte ein lauter Schrei aus Majas Zimmer. Patrik stand auf.
»Wie gesagt, die Stechuhr ruft.«
»Glück auf!«, lachte Erica. »Aber bevor du in die Grube steigst, bring mir die kleine Sklaventreiberin bitte vorbei, damit ich ihr einen Kuss geben kann.«
»Wird gemacht«, sagte Patrik. Auf dem Weg zur Tür hörte er Erica nach Luft schnappen.
»Jetzt weiß ich, wer mein Bruder ist!«, lachte sie laut, doch die Tränen flossen bereits über ihre Wangen. »Ich weiß, wer er ist, Patrik!«
Sie saßen bereits im Auto, als ihnen die Genehmigung für die Hausdurchsuchung mitgeteilt wurde. Da sie damit gerechnet hatten, waren sie schon losgefahren. Auf der Fahrt sagte keiner von beiden ein Wort. Beide waren tief in Gedanken versunken und versuchten, lose Enden miteinander zu verknüpfen und das Muster zu erkennen, das allmählich hervortrat.
Als sie anklopften, kam keine Antwort.
»Es scheint niemand zu Hause zu sein«, stellte Paula fest.
»Wie kommen wir denn jetzt hinein?« Nachdenklich betrachtete Martin die massive Tür, die dem Anschein nach nicht leicht aufzubrechen war.
Lächelnd streckte Paula die Hand aus und betastete suchend den Balken über dem Eingang.
»Mit einem Schlüssel!« Sie hielt den Fund in die Höhe.
»Was würde ich bloß ohne dich machen?« Martin meinte es genau so, wie er es sagte.
»Du würdest dir bei dem Versuch, hier einzudringen, wahrscheinlich die Schulter brechen.« Sie schloss die Tür auf.
Sie traten ein. Es war unangenehm still, muffig und warm. Sie hängten die Jacken im Flur auf.
»Sollen wir uns aufteilen?«, fragte Paula.
»Ich nehme das Erdgeschoss und du das
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