Engel aus Eis
kenne ich!« Karin zwinkerte ihm zu. »Die männliche Unfähigkeit zum Multitasking ist offenbar weit verbreitet.«
»Scheint so«, gab Patrik beschämt zurück.
»Mensch, sollen wir uns nicht mal verabreden? Es ist ja nicht so einfach, die Kleinen zu beschäftigen, und so hätten wir beide auch mal die Gelegenheit, uns mit einem Erwachsenen zu unterhalten. Ein gutes Gespräch ist viel wert!« Sie verdrehte die Augen und sah Patrik fragend an.
»Klar. Wann und wo?«
»Ich mache mit Ludde jeden Vormittag einen langen Spaziergang. Wenn ihr wollt, könnt ihr mitkommen. Sollen wir uns um Viertel nach zehn vor der Apotheke treffen?«
»Das klingt super. Wie spät ist es eigentlich? Normalerweise benutze ich mein Handy als Uhr, aber das habe ich zu Hause vergessen.«
Karin blickte auf ihre Armbanduhr. »Viertel nach zwei.«
»Mist! Dann war ich ja zwei Stunden weg!« Im Laufschritt bugsierte er den Einkaufswagen zur Kasse. »Wir sehen uns morgen!«
»Viertel nach zehn. Vor der Apotheke. Aber komm nicht wieder eine Viertelstunde zu spät, so wie früher!«, rief ihm Karin hinterher.
»Keine Sorge!« Patrik warf die Lebensmittel auf das Band. Er hoffte inständig, dass Maja noch schlief.
Als sie sich zum Anflug auf Göteborg bereitmachten, lag der morgendliche Dunst in dicken Schwaden vor dem Fenster. Surrend wurden die Räder ausgefahren. Axel drückte den Kopf an die Rückenlehne und schloss die Augen, doch das war ein Fehler, denn wie so oft in all den Jahren sah er im Geiste sofort die Bilder vor sich. Müde öffnete er die Augen wieder. An Schlaf war in der vergangenen Nacht kaum zu denken gewesen. Die meiste Zeit hatte er sich in seinem Bett in der Pariser Wohnung hin und her gewälzt.
Die Stimme der Frau am Telefon hatte kühl geklungen. Mitfühlend und doch distanziert teilte sie ihm Eriks Tod mit. Offenbar war das nicht die erste Todesnachricht, die sie überbringen musste.
Ihm wurde schwindlig, als er versuchte, sich die vielen Todesfälle vorzustellen, die in der Menschheitsgeschichte übermittelt worden waren. Ein Anruf von der Polizei, ein Pfarrer vor der Haustür, ein Briefumschlag mit militärischem Siegel. All die Millionen von Menschen, die gestorben waren. Irgendjemand musste es den Angehörigen mitgeteilt haben. Einer musste es immer tun.
Axel griff sich ans Ohr. Mit den Jahren war diese Handbewegung zu einem Reflex geworden. Auf der linken Seite hatte er überhaupt kein Gehör mehr, und die Berührung brachte das stille Rauschen zur Ruhe.
Er blickte zum Fenster, sah aber nur sein eigenes Spiegelbild. Ein grauer, zerfurchter Mann um die achtzig. Traurige, tiefliegende Augen. Er berührte sein Gesicht. Einen Augenblick lang glaubte er, Erik zu sehen.
Donnernd setzten die Räder auf dem Boden auf. Er war angekommen.
Mellberg, der aus dem kleinen Unfall in seinem Büro klug geworden war, nahm die Leine vom Haken und befestigte sie an Ernsts Halsband.
»Bringen wir es hinter uns«, brummte er missmutig, doch Ernst sprang so ausgelassen und glücklich zur Tür, dass Mellberg fast rennen musste.
»Du musst den Hund führen, nicht umgekehrt«, bemerkte Annika, als die beiden an ihr vorbeiflitzten.
»Geh doch selbst mit ihm raus«, murrte Mellberg.
Der Köter hatte es faustdick hinter den Ohren. Ihm taten schon die Arme weh. Plötzlich blieb Ernst abrupt stehen, hob das Bein und verschaffte sich Erleichterung. Anschließend ging es in gemäßigtem Tempo weiter. Da fiel Mellberg auf, dass er leise vor sich hin pfiff. Die Sache mit dem Hund war gar nicht so übel. Etwas frische Luft und ein leichtes Konditionstraining würden ihm guttun. Ernst war mittlerweile richtig fügsam. Er ging voran und beschnüffelte den Waldweg, den sie entdeckt hatten. Vollkommen entspannt. Ernst merkte eben, dass hier jemand die Führung übernommen hatte, mit dem nicht zu spaßen war. Es würde ein Kinderspiel sein, diesem Hund zu zeigen, wo es langging.
In diesem Augenblick blieb Ernst stehen. Die Ohren waren steil aufgerichtet, und jeder Muskel seines sehnigen Körpers war zum Zerreißen gespannt. Dann explodierte er.
»Ernst! Was soll das?« Mellberg wurde so heftig hinterhergezerrt, dass er beinahe hinfiel, in letzter Sekunde konnte er jedoch das Gleichgewicht halten und versuchte nach Kräften, mit dem Hund Schritt zu halten.
»Ernst! Ernst! Hör sofort auf! Platz! Hier!«, keuchte er. Aufgrund der ungewohnten physischen Anstrengung fiel ihm das Schreien schwer, und der Hund ignorierte seine Kommandos. Als
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