Engel aus Eis
vollem Herzen.
Patrik konnte sich nicht entsinnen, ihn jemals lachen gehört zu haben. Und nun mehrmals während eines Telefonats. Auf seine Kosten. Allerdings war das wahrscheinlich die Voraussetzung, um Pedersen ein Lachen zu entlocken. Patrik gab die üblichen Abschiedsfloskeln von sich und legte auf.
»Arbeit?«, fragte Karin neugierig.
»Es ging um Ermittlungen, mit denen wir uns momentan beschäftigen.«
»Um den Alten, der am Montag tot aufgefunden wurde?«
»Ich stelle fest, die Gerüchteküche leistet mal wieder ausgezeichnete Arbeit«, keuchte Patrik. Karin hatte das Tempo wieder angezogen.
Ein rotes Auto fuhr an ihnen vorbei. Nach rund hundert Metern wurde es langsamer, und der Fahrer schien in den Rückspiegel zu blicken. Dann legte er den Rückwärtsgang ein undkam hastig auf sie zu. Patrik fluchte innerlich, als er das Nummernschild seiner Mutter erkannte.
»Das ist ja ein Ding! Ihr zwei geht zusammen spazieren?« Kristina kurbelte das Fenster hinunter und sah Patrik und Karin verblüfft an.
»Hallo, Kristina! Schön, dich zu sehen!« Karin steckte den Kopf in das offene Fenster. »Ich wohne jetzt in Fjällbacka und bin Patrik neulich zufällig über den Weg gelaufen, und da haben wir festgestellt, dass wir beide im Erziehungsurlaub sind und ein bisschen Gesellschaft brauchen. Das ist mein kleiner Ludvig.« Karin zeigte auf ihren Kinderwagen. Kristina lehnte sich aus dem Fenster und gab das beim Anblick von Einjährigen übliche Zwitschern von sich.
»Das ist aber nett!«, sagte Kristina in einem Tonfall, der bei Patrik Magenkrämpfe hervorrief. Ihm kam ein Gedanke, von dem ihm noch übler wurde. Ohne die Antwort hören zu wollen, fragte er: »Und wo willst du hin?«
»Zu euch nach Hause. Da habe ich schon lange nicht mehr vorbeigeschaut. Ich habe sogar gebacken!« Fröhlich zeigte sie auf eine Tüte voller Zimtschnecken und Butterkuchen auf dem Beifahrersitz.
»Erica arbeitet …«, unternahm Patrik einen lahmen Versuch, obwohl er wusste, dass er keine Chance hatte.
Kristina legte den ersten Gang ein. »Wunderbar, dann freut sie sich bestimmt über eine kleine Kaffeepause. Ihr kommt doch auch bald nach Hause, oder?« Sie winkte Maja zu, die ihr ein strahlendes Lächeln schenkte.
»Na klar.« Fieberhaft überlegte Patrik, wie er seine Mutter davon abhalten konnte, seine Begleitung zu erwähnen, aber sein Gehirn war vollkommen leer. Hilflos winkte er ihr hinterher und sah sie mit Bauchschmerzen nach Sälvik rasen. Er würde einiges erklären müssen.
Die Arbeit am Buch war gut gelaufen. Vier Seiten hatte sie am Vormittag geschafft. Sie lehnte sich zufrieden zurück. Ihre Wut hatte sich gelegt. Sie hatte überreagiert. Heute Abend würde sie Patrik entschädigen. Sie würde etwas besonders Leckeres zumAbendessen kochen. Vor der Hochzeit hatten sie sich zurückgehalten und ein paar Kilo abgenommen, aber nun waren sie in den gewohnten Alltagstrott zurückgefallen. Manchmal musste man sich schließlich etwas gönnen. Schweinefilet mit Gorgonzolasauce vielleicht. Das aß Patrik gerne.
Erica ließ den Gedanken ans Abendessen wieder fallen und griff nach den Tagebüchern ihrer Mutter. Eigentlich hätte sie sich hinsetzen und das Ganze in einem Rutsch lesen müssen, aber dazu konnte sie sich nicht überwinden. Also blieb es bei kleinen Häppchen. Verstohlene Einblicke in die Welt ihrer Mutter. Sie legte die Füße auf den Schreibtisch und begann mit der mühseligen Arbeit, die altmodisch verschnörkelte Schrift zu entziffern. Bis jetzt hatte sie vor allem etwas über Elsys Alltag erfahren. Wo sie mithalf, welche Gedanken sie sich über die Zukunft machte, und dass sie sich Sorgen um Ericas Großvater machte, der an Arbeits- und an Feiertagen zur See fuhr. Die Gedanken über das Leben waren mit der Naivität und Unschuld einer Heranwachsenden formuliert, und es fiel Erica schwer, den mädchenhaften Tonfall, den sie aus dem Text heraushörte, mit der harten Stimme ihrer Mutter in Einklang zu bringen. Nie hatte sie ihr und Anna gegenüber zärtliche oder liebevolle Worte geäußert. Sie war immer nur streng und distanziert gewesen.
Als sie auf der zweiten Seite angekommen war, musste Erica sich plötzlich aufrecht hinsetzen. Ein bekannter Name war aufgetaucht, oder besser gesagt, zwei. Elsy schrieb, sie sei zu Hause bei Erik und Axel gewesen, als deren Eltern nicht zu Hause waren. Der Text war zwar in erster Linie eine schwärmerische Beschreibung des wahnsinnig beeindruckenden Bücherregals des
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