Engel aus Eis
zuurteilen, handelte es sich um einen Schlag. Als ich mit Torbjörn telefonierte, habe ich ihm genau diese Frage auch gestellt. Offenbar kann man es an der Verteilung des Bluts erkennen. Nun ja, das ist schließlich ihr Job, jedenfalls steht die Schlussfolgerung fest – ein kräftiger Schlag auf den Kopf.«
»Das stimmt mit dem Ergebnis der Obduktion überein«, nickte Martin. »Und der Gegenstand? Pedersen war doch der Meinung, es müsse sich um einen schweren Gegenstand aus Stein gehandelt haben.«
»Genau!« Triumphierend tippte Mellberg mit dem Zeigefinger auf das Dokument. »Unter dem Schreibtisch lag eine schwere Büste, an der Blut, Haare und Gehirnsubstanz klebten, und ich bin überzeugt davon, dass die Steinspuren, die Pedersen in der Wunde gefunden hat, aus demselben Material bestehen.«
»Wir haben also die Tatwaffe. Immerhin etwas«, murmelte Gösta düster und nahm einen Schluck von dem inzwischen kalten Kaffee.
Mellberg blickte seine Untergebenen prüfend an und fragte: »Irgendwelche Vorschläge, wie wir nun vorgehen sollen?«, als habe er bereits eine umfangreiche Liste von geeigneten Ermittlungsschritten in petto. Was natürlich nicht der Fall war.
»Wir sollten uns mit Frans Ringholm unterhalten und mehr über die Drohbriefe herausfinden.«
»Und mit den Leuten reden, die in der Umgebung wohnen. Vielleicht ist irgendjemandem zur Tatzeit etwas aufgefallen.«
Annika blickte von ihrem Notizblock auf. »Man müsste auch die Haushaltshilfe der Brüder befragen und herausfinden, wann sie zuletzt dort war, ob sie Erik angetroffen hat und warum sie den ganzen Sommer über nicht gekommen ist.«
»Gut.« Mellberg nickte. »Was sitzt ihr noch hier herum und verplempert eure Zeit? An die Arbeit!« Er fasste die versammelte Mannschaft fest ins Auge, bis sie alle nach und nach aus dem Raum getrottet waren. Dann nahm er sich noch eine Zimtschnecke. Ein guter Chef musste delegieren können.
Sie waren sich rührend einig, dass der Unterricht totale Zeitverschwendung war, und wohnten ihm daher nur sporadisch bei,wenn ihnen zufällig der Sinn danach stand. Was allerdings selten vorkam. Heute hatten sie sich gegen zehn verabredet. In Tanum konnte man nicht viel machen. Meistens saßen sie herum.
»Hast du von dem Alten in Fjällbacka gehört?« Nicke nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und lachte. »Wahrscheinlich haben dein Opa und seine Kumpel ihn totgehauen.«
Vanessa kicherte.
»Quatsch«, erwiderte Per wütend, aber nicht ohne Stolz. »Mein Opa hat nichts damit zu tun. Die riskieren doch nicht, in den Knast zu wandern, nur weil sie einen alten Mann erschlagen haben. Schwedens Freunde haben wichtigere und größere Ziele.«
»Hast du den Alten schon gefragt, ob wir mal zu einem Treffen mitkommen dürfen?« Nicke lachte nicht mehr, sondern hatte jetzt einen ganz eifrigen Gesichtsausdruck.
»Noch nicht …«, antwortete Per widerwillig. Er hatte einen ganz besonderen Status in der Gruppe, weil er der Enkel von Frans Ringholm war. In einer schwachen Stunde hatte er den anderen versprochen, sie irgendwann zu einem Treffen nach Uddevalla mitzunehmen. Es hatte sich jedoch nie die Gelegenheit ergeben, zu fragen. Er wusste sowieso, was sein Großvater sagen würde. Dass sie zu jung seien und noch ein paar Jahre bräuchten, um »ihr volles Potential zu entfalten«. Per verstand nicht, was sein Großvater damit meinte. Sie begriffen die Sache genauso gut wie diejenigen, die schon älter und bereits vollwertige Mitglieder waren. Es war doch ganz einfach. Was sollte man da missverstehen?
Genau das gefiel ihm an der Sache. Dass sie so einfach war. Schwarz und weiß. Keine Grauzonen. Per konnte nicht nachvollziehen, wieso die Leute immer so kompliziert dachten und alles von verschiedenen Seiten betrachteten. Dabei war doch alles wahnsinnig simpel. Es gab uns, und es gab die. Nur darum ging es. Wir und die. Und wenn die unter sich geblieben und ihr eigenes Ding gemacht hätten, wäre es auch kein Problem gewesen. Aber die mussten ja unbedingt in fremdes Territorium eindringen. Konnten es nicht lassen, ständig die Grenzen zu überschreiten, die doch so offensichtlich waren. Man sah doch den verdammten Unterschied. Weiß oder gelb. Weiß oder braun. Weißoder dieses widerliche Blauschwarz der Bewohner von Afrikas tiefsten Urwäldern. So einfach. Allerdings war es ja klar. Mittlerweile konnte man die Unterschiede nicht mehr gut erkennen. Alles war zerstört, vermischt und zu einem Brei vermatscht. Er betrachtete
Weitere Kostenlose Bücher