Engel aus Eis
verklangen die Stimmen. Er warf sich aufs Bett und griff nach dem obersten Buch vom Stapel. Es handelte von Alexander dem Großen. Der war auch mutig gewesen. Genau wie Axel.
D u hättest es wenigstens erwähnen können. Ich stand wie eine Vollidiotin da, als Kristina mir erzählte, dass sie dich und Karin beim Spazierengehen getroffen hat.«
»Ich weiß.« Patrik ließ den Kopf hängen. Die Stunde, die Kristina bei ihnen verbracht hatte, war von Untertönen und scharfen Blicken bestimmt gewesen, und er hatte kaum die Haustür hinter seiner Mutter geschlossen, als Erica an die Decke ging.
»Es ist wirklich kein Problem, dass du mit deiner Exfrau spazieren gehst. Ich bin von Natur aus nicht eifersüchtig, das weißt du. Aber warum hast du mir nichts davon erzählt? Das wundert mich einfach.«
»Ich kann dich ja verstehen …« Patrik wich Ericas Blick aus.
»Ist das alles, was dir dazu einfällt? Keine Erklärung? Ich dachte, wir können uns alles sagen!« Erica spürte, dass sie auf eine Überreaktion zusteuerte, die sich gewaschen hatte, aber da der Frust der vergangenen Tage nun endlich ein Ventil gefunden hatte, konnte sie sich nicht bremsen.
»Ich dachte, die Aufteilung zwischen uns beiden wäre klar! Du nimmst Erziehungsurlaub, und ich kann arbeiten! Aber ich werde die ganze Zeit gestört, du gehst in meinem Arbeitszimmer ein und aus, als hätte es eine Schwingtür, und gestern hast du dir sogar erlaubt, für zwei Stunden zu verschwinden und mich mit Maja alleine zu lassen. Was glaubst du eigentlich, wie ich das in dem Jahr gemacht habe, als ich mich um Maja gekümmert habe? Meinst du, irgendjemand hätte mir Maja abgenommen, wennich etwas zu erledigen hatte, oder hätte mir verraten, wo ihre Handschuhe lagen?« Erica hörte ihre eigene schrille Stimme und fragte sich, ob tatsächlich sie diejenige war, die da so schrie. Sie hielt inne und sagte in etwas leiserem Tonfall: »Entschuldige, ich habe es nicht so gemeint … Ich glaube, ich gehe ein bisschen an die frische Luft.«
»Tu das.« Patrik sah aus wie eine Schildkröte, die vorsichtig den Kopf aus dem Panzer schob, um nachzusehen, ob die Luft rein war. »Verzeih mir bitte, dass ich dir nichts davon erzählt habe.« Er warf ihr einen flehentlichen Blick zu.
»Hauptsache, du machst das nie wieder.« Erica lächelte matt. Die weiße Fahne war gehisst. Es tat ihr leid, dass sie ihn so angefahren hatte, aber sie mussten später weiterreden. Im Moment wollte sie einfach nur raus hier.
In raschem Tempo ging sie durch den Ort. Nach den hektischen Sommermonaten, wenn die Touristen verschwunden waren, sah Fjällbacka so seltsam verwaist aus. Wie ein Wohnzimmer am Morgen nach einer wüsten Party. Halbleere Gläser, zerknüllte Girlanden, ein schiefes Papierhütchen auf dem Kopf eines schlafenden Gastes. Eigentlich war Erica diese Zeit am liebsten. Der Sommer war so intensiv und aufdringlich. Nun lag Stille über dem Ingrid-Bergmans-Torg. In wenigen Tagen würden Maria und Mats ihren Centrumkiosk schließen und sich, wie jedes Jahr, wieder ihrer Arbeit oben in Sälen widmen. Das mochte sie so an Fjällbacka. Die Vorhersehbarkeit. Jedes Jahr das Gleiche, immer derselbe Kreislauf. Same procedure as last year.
Erica grüßte die Leute, die ihr entgegenkamen, als sie am Ingrid-Bergmans-Torg vorbei – und den Galärbacken hinaufging. Die meisten kannte sie. Doch sobald sie merkte, dass jemand stehen bleiben und ein Schwätzchen halten wollte, beschleunigte sie ihren Schritt. Dazu hatte sie heute keine Lust. Als sie in raschem Tempo die OK/Q8-Tankstelle passierte und weiter den Dinglevägen entlangmarschierte, wusste sie plötzlich, wohin ihr Weg sie führte. Ihr Unterbewusstsein hatte wahrscheinlich schon in Sälvik entschieden, wo das Ziel ihres Spaziergangs lag, aber sie selbst begriff es erst jetzt.
»Dreimal Körperverletzung, zweimal Bankraub und einige andere Kleinigkeiten, aber keine Verurteilung wegen Volksverhetzung.« Paula schlug die Beifahrertür des Dienstfahrzeugs zu. »Ich habe auch so manches über einen Jungen namens Per Ringholm gefunden, aber bis jetzt nichts Großes.«
»Das ist sein Enkelsohn.« Martin schloss den Wagen ab. Sie waren nach Grebbestad gefahren, wo Frans Ringholm neben dem Gästis in einer Wohnung lebte.
»Ach, hier hat man den einen oder anderen Abend seine Mähne geschüttelt.« Martin deutete auf den Eingang vom Gästis.
»Ich kann es mir bildlich vorstellen. Aber diese Zeiten sind jetzt vorbei, oder?«
»Das kann man
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