Engel aus Eis
diese Zeitanruft.« Dan ging sein Mobiltelefon aus der Jackentasche holen und betrachtete mit gerunzelter Stirn das Display. Er schien die Nummer nicht zu kennen.
»Hallo, hier ist Dan.«
»Wer ist da?«
»Entschuldigung, ich kann dich nicht verstehen …«
»Belinda? Wo?«
»Wie?«
»Aber ich habe etwas getrunken, ich kann nicht …«
»Dann setz sie in ein Taxi. Punkt, aus. Ja, ich bezahle. Sorg einfach dafür, dass sie hierherkommt.« Die Falte auf seiner Stirn vertiefte sich. Nachdem er die Adresse von Patrik und Erica gemurmelt und das Handy ausgeschaltet hatte, fluchte er laut.
»So eine Scheiße.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Anna besorgt.
»Es geht um Belinda. Sie war anscheinend auf einer Party und nun ist sie sternhagelvoll. Eine Freundin von ihr hat angerufen. Sie setzt sie in ein Taxi.«
»Wo steckt sie denn? Sie sollte doch bei Pernilla in Munkedal sein!«
»Tja, offensichtlich ist es anders gekommen. Ihre Freundin rief aus Grebbestad an.«
Dan wählte eine Nummer und riss anscheinend seine Exfrau aus dem Tiefschlaf. Da er in der Küche telefonierte, bekamen sie nur einzelne Gesprächsfetzen mit, aber die klangen nicht besonders freundlich. Einige Minuten später kam er wieder ins Esszimmer und setzte sich frustriert an den Tisch.
»Belinda hat gesagt, sie wolle bei einer Freundin übernachten, und die Freundin hat höchstwahrscheinlich behauptet, sie würde bei Belinda schlafen. Stattdessen sind sie jedoch irgendwie nach Grebbestad auf eine Party gefahren. Verdammter Mist! Ich dachte, ich könnte mich darauf verlassen, dass sie sie im Griff hat.« Aufgewühlt fuhr er sich durch die Haare.
»Pernilla?« Anna streichelte seinen Arm, um ihn zu beruhigen. »So einfach ist das nicht. Du hättest auch darauf hereinfallen können. Das ist der älteste Trick der Welt.«
»Mir wäre das nicht passiert«, zischte Dan. »Ich hätte abendsbei den Eltern der Freundin angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung ist. Nie im Leben würde ich einer Siebzehnjährigen vertrauen. Wie blöd kann man eigentlich sein? Kann ich mich noch nicht mal darauf verlassen, dass sie vernünftig auf die Kinder aufpasst?«
»Beruhig dich«, sagte Anna streng. »Eins nach dem andern. Das Wichtigste ist jetzt, dass wir uns um Belinda kümmern.« Dan wollte etwas sagen, aber Anna ließ ihm keine Chance. »Und wir werden heute Abend nicht mit ihr schimpfen. Die Diskussion verschieben wir auf morgen, wenn sie wieder nüchtern ist. Okay?« Trotz des Fragezeichens am Ende begriffen alle am Tisch, einschließlich Dan, dass dieser Punkt nicht verhandelbar war. Er nickte nur.
»Ich mache das Bett im Gästezimmer.« Erica stand auf.
»Und ich hole einen Eimer.« Patrik hoffte von ganzem Herzen, dass er diesen Satz nicht würde wiederholen müssen, wenn Maja in dem Alter war.
Einige Minuten später war in der Einfahrt ein Auto zu hören. Dan und Anna eilten zur Haustür. Anna bezahlte das Taxi, während Dan Belinda auf den Arm nahm, die wie eine Stoffpuppe auf dem Rücksitz lag.
»Papa …«, lallte sie. Dann schlang sie ihm die Arme um den Hals und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Dan drehte sich der Magen um, weil sie so stark nach Erbrochenem roch, doch gleichzeitig empfand er eine wahnsinnige Zärtlichkeit für die Tochter, die in seinen Armen plötzlich so klein und zerbrechlich wirkte. Es war lange her, dass er sie zuletzt getragen hatte.
Ein würgendes Geräusch veranlasste ihn, automatisch ihren Kopf zur Seite zu halten, Hauptsache, weg von seinem Brustkorb. Eine stinkende rötliche Flüssigkeit ergoss sich über Patriks und Ericas Außentreppe. Es war eindeutig zu erkennen, welches Getränk sie im Übermaß konsumiert hatte. Jedenfalls war Rotwein kein unwesentlicher Bestandteil der Brühe.
»Kommt rein mit ihr, und macht euch deswegen keine Sorgen, das wischen wir nachher weg.« Erica winkte Dan und Belinda herein. »Bring sie ins Badezimmer, dann kümmern Anna und ich uns um sie und ziehen ihr etwas Frisches an.«
Unter der Dusche begann Belinda herzzerreißend zu weinen. Anna strich ihr über den Kopf, während Erica sie behutsam abtrocknete.
»Ganz ruhig, das wird alles wieder gut.«
»Kim wollte eigentlich kommen … und ich dachte, dass … aber er hat zu Linda gesagt, dass er mich … hässlich findet.« Die Worte kamen abgehackt und stoßweise, zwischendurch schluchzte sie.
Anna blickte Erica über Belindas Kopf hinweg an. Beide hätten um keinen Preis der Welt mit dem Mädchen tauschen wollen.
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