Engel aus Eis
fertig war.
»Scannt ihr die ein, oder wie macht ihr das?«, fragte Adam neugierig.
»Die scannen wir ein, klar«, sagte Gösta, »und dann lassen wir sie durch diese Datenbank laufen, die du gerade erwähnt hast. Wir haben alle schwedischen Mitbürger über achtzehn gespeichert. Und ein paar Ausländer dazu. Du weißt, über Interpol und so. Mit denen haben wir eine direkte Verbindung. Mit dem FBI und der CIA natürlich auch.«
»Cool.« Adam betrachtete Gösta voller Bewunderung.
Gösta hörte auf dem ganzen Rückweg nicht auf zu lachen.
Liebevoll deckte er den Tisch. Die gelbe Decke, die Britta so gut gefiel. Das weiße Service mit dem Muster. Die Kerzenständer, die sie zur Hochzeit bekommen hatten. Eine Vase mit ein paar frischen Blumen. Darauf hatte Britta immer Wert gelegt. Sie hatte zu jeder Jahreszeit Blumen zu Hause gehabt. Beim Blumenhändler war sie Stammkundin, zumindest war sie es früher gewesen. Mittlerweile ging meistens Herman hin. Er wollte ja, dass alles so war wie immer. Wenn rings um sie alles unverändert blieb, ließ sich die Abwärtsspirale, wenn sie schon nicht aufzuhalten war, vielleicht wenigstens verlangsamen.
Am schwierigsten war es zu Beginn gewesen. Vor der Diagnose. Britta war immer so ordentlich gewesen. Keiner von beiden verstand, warum sie plötzlich die Autoschlüssel nicht mehr fand, die Enkelkinder mit dem falschen Namen ansprach und Telefonnummern von Freundinnen, mit denen sie ihr Leben lang verkehrt hatte, wie weggeblasen waren. Sie hatten es auf Müdigkeit und Stress geschoben. Britta hatte Vitamine und Kräuterblut geschluckt, weil sie dachten, sie hätte vielleicht Mangelerscheinungen. Schließlich konnten sie nicht mehr die Augen davor verschließen, dass irgendetwas ernstlich nicht in Ordnung war.
Die Diagnose hatte beide für eine Weile verstummen lassen. Dann rutschte Britta ein Schluchzer heraus. Mehr nicht. Ein Schluchzen. Sie umklammerte Hermans Hand, und er drückte ihre. Sie wussten beide, was das bedeutete. Ihr Leben, das sie seit fünfundfünfzig Jahren gemeinsam verbrachten, würde sich drastisch verändern. Langsam würde die Krankheit ihr Gehirn zersetzen und ihr immer mehr von dem nehmen, was sie ausgemacht hatte: ihre Erinnerungen, ihre Persönlichkeit. Vor ihnen öffnete sich ein Abgrund.
Seitdem war ein Jahr vergangen. Die guten Momente wurden immer seltener. Hermans Hände zitterten, als er versuchte, die Servietten so zu falten wie sie. Sie hatte immer einen Fächer gemacht. Doch obwohl er ihr so oft dabei zugesehen hatte, bekam er es nicht hin. Nach dem vierten Versuch stiegen Wut und Frust in ihm hoch, er riss die Serviette in winzige Fetzen und ließ sie auf den Teller fallen. Er setzte sich hin und versuchte, sich zu sammeln. Wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
Fünfundfünfzig Jahre hatten sie zusammen verbracht. Gute Jahre. Glückliche Jahre. Natürlich hatte es, wie in jeder Ehe, Hochs und Tiefs gegeben. Aber sie hatten immer eine Basis gehabt. Er und Britta hatten sich zusammen entwickelt. Waren gemeinsam erwachsen geworden. Vor allem, als Anna-Greta kam. Damals war er unheimlich stolz auf Britta. Vor der Geburt der Tochter hatte er seine Frau manchmal oberflächlich und albern gefunden, das musste er zugeben. Aber seit dem Tag, an dem sie Anna-Greta zum ersten Mal im Arm gehalten hatte, war sie wie verwandelt. Es schien, als habe sie nun einen inneren Halt, der ihr vorher gefehlt hatte. Drei Töchter hatten sie bekommen. Drei gesegnete Töchter, und er liebte seine Frau mit jedem Kind mehr.
Er spürte eine Hand auf der Schulter. »Wie geht es dir, Papa? Ich bin einfach hereingekommen, weil du nicht auf mein Klopfen reagiert hast.«
Als Herman das besorgte Gesicht seiner ältesten Tochter sah, wischte er sich rasch über die Augen und zwang sich zu einem Lächeln, aber er konnte ihr nichts vormachen. Sie schlang die Arme um ihn und legte ihre Wange an seine.
»Ist es schwer heute, Papa?«
Er nickte und fühlte sich in den Armen seiner Tochter einen Moment lang wie ein Kind. Er und Britta hatten sie gut erzogen. Anna-Greta war ein warmherziger und fürsorglicher Mensch und eine liebevolle Großmutter von zweien ihrer Urenkel. Manchmal konnte er kaum glauben, dass diese grauhaarige Frau um die fünfzig wirklich die Tochter war, die hier herumgewatschelt war und ihn um den kleinen Finger gewickelt hatte.
»Die Jahre vergehen.« Er tätschelte ihren Arm, der auf seiner Brust lag.
»Ja, Papa.« Sie drückte ihn noch etwas
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