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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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benötigte.
    Innerlich aufgewühlt und in Gedanken bei dem
Mönch, der ihm aus der Patsche geholfen hatte, bog Deodatus von der Straße ab und
strebte der Sickergrube zu, die unweit des Stadtgrabens ausgehoben worden war. Seine
verkrümmte Gestalt warf lange Schatten, und die untergehende Sonne tauchte die von
Hecken, Bewässerungsgräben und Ackerfurchen durchzogene Landschaft in purpurfarbenes
Licht. Der Müllkärrner indes hatte kein Auge dafür. Jetzt galt es, einen kühlen
Kopf zu bewahren, den Auftrag, mit dem er betraut worden war, auf Gedeih und Verderb
auszuführen.
    Obwohl ihm nicht danach war, stimmte Deodatus
ein altes Volkslied an und wischte sich den Schweiß von der schrundigen Stirn. Das
half, vor allem gegen die Angst. Angst, die mit jedem Schritt, der ihn seinem Ziel
näherbrachte, anwuchs und sich wie ein Würgeeisen um seine Kehle legte. Der Müllkärrner
biss die Zähne zusammen und stapfte weiter. Aufgeben kam für ihn dennoch nicht infrage.
In seinen Augen wäre dies gleichbedeutend mit Verrat gewesen, und wenn es etwas
gab, das ihn mit Schrecken erfüllte, dann die Vorstellung, dass sich sein Schutzengel
von ihm abwenden würde. Der Mensch, dem er so viel Dank schuldete, dass er sieben
Leben benötigt hätte, um diese Schuld abzutragen.
    Die Sickergrube. Nichts wie weg mit dem Abfall,
von dem sein Karren beinahe überquoll. Und dann nichts wie weiter, so schnell es
ging. Die Zeit drängte, er musste sich sputen.
    Endlich am Ziel, sah sich Deodatus argwöhnisch
um. Das Gehöft, vor dem er stand, war im Sommer 1407 von Kriegsknechten des Burggrafen
niedergebrannt und nach Kriegsende nicht wieder aufgebaut worden. Außer ein paar
Mauerresten, verkohlten Balken und herumliegenden Dachziegeln war nicht viel davon
übrig geblieben, kein Mensch hatte eine Ahnung, was aus den Bewohnern geworden war.
Die einen behaupteten, die vierköpfige Familie sei im Schlaf überrascht und von
der marodierenden Soldateska zu Tode gemartert worden, andere wiederum beteuerten,
sämtliche Bewohner hätten sich in Sicherheit bringen können. An den Spukgeschichten,
die in der Stadt kursierten, änderte dies jedoch nichts. Des Nachts, hieß es, könne
man bisweilen das Hohngelächter der Plünderer hören, unterbrochen von lautem Wehklagen
und Geschrei. Kaum verwunderlich, dass sich nach Sonnenuntergang kein Mensch hier
blicken ließ, es sei denn, er führte etwas im Schilde.
    So wie er. Deodatus griente zufrieden vor sich
hin. Er hatte den Ort mit Bedacht gewählt, und da weder Spuren noch Hinweise auf
unerwünschte Beobachter zu entdecken waren, atmete er laut und vernehmlich durch.
    Ohne einen Blick zum Horizont zu werfen, wo
die glutrote Sonne über den Baumwipfeln schwebte, überwand der Müllkärrner schließlich
seine Scheu, ließ die Zügel aus den Händen gleiten und näherte sich dem Gehöft.
Von Spuren, gleich welcher Art, war nichts zu sehen, aber das nahm er nur am Rande
wahr. Nur noch ein Ziel vor Augen, kämpfte er sich durch den knöcheltiefen Morast
voran, hin zu der Stelle, wo in unmittelbarer Nähe des Torbogens ein Reisighaufen
in die Höhe ragte. Kaum am Ziel, wühlte sich der Müllkärrner wie ein Besessener
durchs Geäst und hielt erst dann inne, als er auf ein fest verschnürtes Leinenbündel
stieß.
    Einen Seufzer auf den Lippen, der aus tiefstem
Herzen kam, sank Deodatus auf die Knie, brabbelte ein Gebet und schob die Arme unter
den Leichnam, welchen er zwölf Stunden zuvor dort versteckt hatte. Dann rappelte
er sich auf, stieß einen lang gezogenen Klagelaut aus und trug die sterblichen Überreste
von Agnes Egerter zu seinem Karren, wo sie unter eilends herbeigeschafften Reisigbündeln
verschwanden.
    Einen Choral auf den Lippen, der in keinem Gesangbuch
zu finden war, strebte Deodatus wieder der Stadt zu, eingehüllt von purpurnen Dunstschwaden,
die sich wie ein schützender Mantel an ihn schmiegten.

5
     
    Postskriptum (I)
     
    Das Furchtbare daran waren nicht die Schmerzen gewesen, ihre nicht
enden wollende Pein, das Gefühl, schlimmer als ein Stück Dreck behandelt worden
zu sein. Das Furchtbare daran war, dass ihr niemand geglaubt hatte, weder die Mutter,
noch der Vater, und schon gar nicht ihr Beichtvater in der Sankt Peter und Paulskirche
zu Detwang, wohin sie sich in ihrer Verzweiflung geflüchtet hatte. Zuvor war sie
stundenlang am Ufer der Tauber entlanggeirrt, bald hierhin, bald dorthin gestolpert,
bleich vor Entsetzen, stumm vor Verzweiflung, feuerrot vor Scham. In ihrer Not,
so

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