Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
Erstaunen, handelte es sich
doch um einen Mann, der höchstens 25 Lenze zählte. Ein Mann, dessen Gewandung auf
Anhieb die Blicke auf sich zog. Wäre sein prüfender Blick nicht gewesen, hätte Bruder
Hilpert schwören können, er habe es mit einem harmlosen Stutzer zu tun. Dafür sprachen
allein schon das mit Kringeln, Schnörkeln und Ranken durchwirkte Wams aus dunklem
Brokat, das er unter dem ebenfalls dunklen Pelzmantel trug, der Kragen aus Zobelfell,
mit dem dieser besetzt war, und das dazu passende rabenschwarze Barett, in dem die
Feder eines Pfauen steckte. Es war diese Feder, die den Habitus eines Aristokraten
perfekt machte, wenngleich Bruder Hilpert zögerte, den jungen Beau mit dem schulterlangen
braunen Haar als solchen einzustufen. Da war etwas an diesem Mann, was ihn zutiefst
irritierte, etwas, worüber die ebenmäßigen Züge, die fein geschwungene Nase und
die von sorgfältig gestutzten Brauen überwölbten Augen nicht hinwegtäuschen konnten.
Er wusste zwar nicht, worin das Besondere an dem jungen Fant bestand, war sich jedoch
sicher, dass er es noch herausbekommen würde. Auch wenn die Sehschärfe seiner Augen,
um die er sich ernsthaft Sorgen machte, wieder einmal zu wünschen übrig ließ. »Erlaubt,
dass ich mich vorstelle – mein Name ist Laurenz Tuchscherer, wohnhaft in der Herrngasse
zu Rothenburg ob der Tauber. Wie Ihr heißt, weiß ich ja bereits.«
Bruder Hilpert, der nichts mehr hasste als das
aristokratische Gehabe, welches die Mitglieder betuchter Kaufmannsfamilien an den
Tag legten, rang sich ein knappes Nicken ab. Daher wehte also der Wind. Der Spross
eines alteingesessenen Patriziergeschlechtes, genau die Sorte Mensch, der er gemeinhin
mit Vorsicht begegnete. Mitglied in einer der knapp zwei Dutzend Familien, welche
seit alters her die Geschicke der Freien Reichsstadt in Händen hielten und sich
gegenseitig die zwölf Sitze im Inneren Rat und den Posten des Bürgermeisters zuschanzten.
Von daher also dieser Habitus, welcher ihn am heutigen Tag mehr denn je mit Unbehagen
erfüllte. Ein Gefühl, welches nicht wenige der Umstehenden zu teilen schienen.
Und noch etwas wurde ihm klar, Augenlicht hin
oder her. Hinter der Fassade der Gelassenheit, welche Tuchscherer an den Tag legte,
war ein argwöhnischer, auf Anerkennung und Ergebenheitsbezeugungen bedachter Charakter
verborgen. Seine Augen waren ständig in Bewegung, taxierten bald die Gesichter der
Gaffer, bald Bruder Hilpert, dem er mit mühevoll kaschiertem Misstrauen begegnete.
Im Verein mit seinem herrischen Auftreten vermittelte er den Eindruck eines sprungbereiten
Raubtiers, ein Grund mehr, ihm in Zukunft aus dem Weg zu gehen. »Darf man fragen,
Bruder, was Euch bewogen hat, für diesen Auswurf da drüben Partei zu ergreifen?«
»Die Tatsache, dass wir alle Kinder Gottes sind.«
Tuchscherer brach in affektiertes Gelächter
aus. »So, sind wir das. Gut zu wissen, dass sich die Zisterzienser neuerdings mit
Abschaum umgeben. Sei’s drum. Irgendjemand muss sich ja schließlich um gebrandmarkte
Ketzer kümmern.«
»Ihr tut gut daran, junger Mann, hin und wieder
einen Blick in die Heilige Schrift zu werfen. Steht doch geschrieben: ›Hoffahrt
kommt vor dem Sturz und Hochmut kommt vor dem Fall.‹« [28]
»Erlaubt, dass ich Euch ebenfalls einen Rat
gebe, Bruder –«, heuchelte Tuchscherer, schnalzte mit der Zunge und dirigierte seinen
unruhig auf der Stelle tänzelnden Rappen bis auf Armlänge an Bruder Hilpert heran.
»Ihr tut gut daran, mir von Stund an nicht mehr in die Quere zu kommen. Ein Wort
von mir, und Ihr fliegt in hohem Bogen zum Tor hinaus. Pfaffen, die eine große Lippe
riskieren, können wir hier nämlich nicht brauchen. Von der Sorte gibt es nämlich
schon genug. Und was Euren Hang zu bildhaften Vergleichen betrifft, lasst Euch gesagt
sein, dass Ihr bei mir damit an der falschen Adresse seid. Und darum, Bruder, ein
gut gemeinter Rat, von Hoch zu Niedrig sozusagen. Falls Ihr große Reden schwingen
wollt, seid Ihr in Sankt Johannis besser aufgehoben. Der Betbruder dort taugt ohnehin
nicht viel. Und nun, Mönchlein – Gott befohlen!«
*
Das hatte er nun davon. Deodatus zerrte am Zaumzeug seines Esels, blickte
zum westlichen Horizont und hatte es auf einmal so eilig, dass er ins Stolpern geriet.
Warum bloß hatte er sich mit dem Fuhrknecht angelegt, einen Menschenauflauf verursacht
und dadurch wertvolle Zeit vertrödelt? Zeit, die er jetzt, da seine Mission auf
Messers Schneide stand, dringender denn je
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