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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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herabreichendes
Haar, beinahe noch ein Kind. Gewiss doch, so war es. So musste es einfach sein.
Oder handelte es sich etwa um … nein, unmöglich, dies hier war kein Mummenschanz,
kein Täuschungsversuch, keine abgefeimte Intrige. Hier war der Leibhaftige im Spiel,
darauf aus, ihm die Laune mit einem Hirngespinst zu vergällen.
    Einbildung also, nichts weiter.
    Oder die Wirklichkeit, das war die Frage.
    Als könne es Gedanken lesen, hielt das Mädchen
seinem Blick stand, öffnete den Umhang, den es über seinem blauen Wollkleid trug
und gab den Blick auf den Blutfleck frei, der sich direkt unterhalb der Gürtellinie
befand.
    Tuchscherer stöhnte innerlich auf. Also doch
kein Mummenschanz, kein Albtraum oder was es sonst noch für Möglichkeiten gab. Sondern
die Wirklichkeit, die grausame, durch nichts zu beschönigende Realität.
    Den Behälter an die Brust gepresst, wich Tuchscherer
zurück. Er wollte schreien, um Hilfe rufen, herumwirbeln und das Weite suchen. Vergebens.
»Was willst du von mir, Agnes?«, brach es mit Macht aus ihm hervor, während er schweißtriefend
und geifernd um Fassung rang. »Wie … wie in aller Welt kommst du hierher?«
    Doch Agnes antwortete nicht, deutete nur immerfort
auf den Blutfleck, der, wie ihm seine Fantasie Glauben machte, immer größer zu werden
schien. Tuchscherer ächzte gequält. Natürlich wusste er, was sie von ihm wollte.
Was für eine Frage. Sie wollte Rache nehmen, Rache für das, was er ihr im Garten
hinter dem Haus angetan hatte, Rache für die Pein, die er ihr zugefügt und für die
Qualen, welche sie seither durchlitten hatte.
    Sie wollte Vergeltung üben und er, ihr Peiniger,
würde dem nichts entgegenzusetzen haben. »Willst du Geld, willst du … nach was riecht
es denn hier?«, winselte Tuchscherer mit Blick auf den Behälter, dem ein unangenehmer,
über die Maßen strenger Geruch anhaftete. Nur um mitten im Satz, trotz seines Weinkonsums,
auf die erhoffte Antwort zu stoßen.
    Lauge. Zum Färben von Wolle, Garn oder Tüchern.
Oder zum Trinken, je nachdem.
    »Was zögerst du, Laurenz? Nur zu, oder fehlt
dir der Mut?«
    Bleich wie der Tod, zuckte Tuchscherer jäh zusammen.
Wer war es, der sich von hinten herangeschlichen, der ihm hier, unweit des Markusturms,
aufgelauert hatte? Der ihn beim Vornamen nannte, in einem Tonfall, der ihm das Blut
in den Adern gefrieren ließ?
    Das Gefäß immer noch in der Hand, wirbelte Tuchscherer
herum.
    Und erstarrte.
    Vor ihm stand jemand, den er kannte. Oder den
er, wie ihm die Erinnerung glauben machen wollte, zu kennen glaubte. Dieser Jemand
trug einen wollenen Überwurf, dazu ein Kleid aus dunkelrotem Samt, bei dessen Anblick
es ihm endgültig die Sprache verschlug. Kurz davor, den Verstand zu verlieren, drang
ein Röcheln aus Tuchscherers Mund. Beim Phallus Satans, hier ging es nicht mit rechten
Dingen zu, hier war der Leibhaftige in persona [87] am Werk. ›Was willst du?‹, wollte er sagen, den Blick
abwechselnd über die rechte Schulter und danach wieder auf die Gestalt gelenkt,
welche ihn mit unbewegter Miene taxierte.
    Tuchscherer traute seinen Augen nicht. Hanfschlinge
um den Hals, Überwurf aus Wolle, sündhaft teures, mit Goldfäden durchwirktes Kleid,
kokettes Lächeln und zu allem Überfluss auch noch ein Goldkettchen samt herzförmigem
Medaillon auf der Stirn. Wahrlich, die Hure, welche er gemeuchelt hatte, war wiederauferstanden,
dazu auserkoren, ihm den letzten Rest seines Verstandes zu rauben.
    »Was mein Begehr ist, willst du wissen?«, nahm
sie ihm die Worte aus dem Mund, außerstande, ihre Genugtuung zu verbergen. »Kannst
du dir das nicht denken, Liebster?«
    »Doch.« Zu mehr als dieser Äußerung war Tuchscherer
nicht fähig, schon gar nicht dazu, auf die Gestalt zuzugehen. Hätte er es getan,
wäre ihm aufgefallen, dass sie eine Augenmaske trug, dass sie mit derjenigen, für
die er sie hielt, nichts gemeinsam hatte.
    So aber nahmen die Dinge ihren Lauf. »Na, also!«,
rief der Engel_der_Rache, in den sich Tuchscherers Schreckensvision zu verwandeln
begann, mit triumphierender Stimme aus. »Wurde aber auch Zeit.«
    »Zu … was denn?«, stammelte Tuchscherer, der
nun, verglichen mit dem Mann, der das Leben von zwei Menschen auf dem Gewissen hatte,
nicht mehr wiederzuerkennen war. »Was immer Ihr begehrt, ich werde Euren Wunsch
…«
    »Gestehe, Nichtswürdiger, mehr verlange ich
nicht von dir.«
    »Ja, ja, ja – ich habe ihr Gewalt angetan! Das
wollt Ihr doch von mir hören, oder?«
    »Wem,

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