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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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tummelten, war auf Egberta so schlecht zu sprechen gewesen,
dass er sie umgebracht hatte, wer hatte überhaupt ein Motiv?
    Wie vom Donner gerührt,
blieb Tuchscherer stehen. Der Gedanke, welcher durch sein vernebeltes Hirn irrte,
war so einleuchtend, die dahinter stehende Logik so zwingend, dass er sich fragte,
warum er nicht schon früher darauf gekommen war. Hass wallte in ihm empor, gepaart
mit Triumphgefühlen und einer gehörigen Portion Rachedurst. Beim Henker, das hatte
sich diese Sippschaft so gedacht.
    Und die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
    Zunächst aber hieß es, unbehelligt nach Hause
zu kommen und den Rausch, der in einen gewaltigen Kater münden würde, erst einmal
auszuschlafen. Dann würde er weitersehen, Bermetter die Rechnung präsentieren, dem
Schandweib, das sich Schwiegermutter schimpfte, Daumenschrauben anlegen. Ein Auftritt
ganz nach seinem Geschmack, der, hoffte er, seine Geldkatze bis zum Rand füllen
würde.
    In Reichweite des Röderbogens, hinter dem sich
die Umrisse des Markusturms abzeichneten, erlitt Tuchscherers Zuversicht einen Dämpfer.
Unter dem Torbogen stand eine Gestalt, wie eine Statue, von zarter, allenfalls mittlerer
Statur und gerade erst dem Kindesalter entwachsen. Tuchscherer blieb stehen, runzelte
die Stirn, trat näher, blieb erneut stehen und wich mit erschrockenem Gesicht zurück.
Er geriet ins Wanken, nicht etwa als Folge des Weinkonsums, der seine Sinne durcheinandergewirbelt
hatte, sondern aufgrund des Entsetzens, das ihm in sämtliche Glieder fuhr.
    Dies war der Moment, auf den die Halbwüchsige
unter dem Torbogen gewartet zu haben schien. Wie auf Kommando setzte sich die Maid
in Bewegung, geradewegs auf den konsternierten Zecher zu. Vor Schreck wie erstarrt,
blieb Tuchscherer stehen. Lichtblitze zerbarsten vor seinen Augen, und ihm war,
als vernehme er einen Pfeifton im Ohr. Die Maid indes ließ sich nicht beirren und
steuerte direkt auf ihn zu. Sie trug ein weißes Behältnis vor sich her, gerade so,
als bringe sie ein Opfer dar. Furcht kannte sie offenbar keine, gänzlich unbeeindruckt
vom Lichtkegel der Laterne, in den sie beim Herannahen geriet.
    Eine Armlänge von Tuchscherer entfernt, blieb
die Maid schließlich stehen. Ihr Gegenüber bewegte sich keinen Zoll, nicht etwa,
weil es ihm am Willen mangelte, sondern weil er das, was sich hier abspielte, nicht
begriff. Kalkweiß im Gesicht, gab der Ratsherr in spe keinen Laut von sich, fröstelnd,
zaudernd, unfähig, das Erlebte zu begreifen. ›Scheiß Sauferei!‹, fuhr es ihm durch
den Sinn, ›wenn du so weitermachst, karren sie dich ins Narrenhaus!‹
    Und dann, wie aus heiterem Himmel, geschah es.
Die Erinnerung stellte sich wieder ein. Langsam, aber unaufhaltsam, wie ein Rinnsal,
aus dem ein reißender Strom entsteht.
    Einer Salzsäule gleich verharrte Tuchscherer
in seiner Pose, bewegte sich nicht, rührte sich nicht vom Fleck. Kein Zweifel, er
hätte die Maid beiseite stoßen, sie mit Verwünschungen überschütten, sein Heil in
der Flucht suchen können. Dazu sollte es jedoch nicht kommen, aus Gründen, auf die
er sich keinen Reim machen konnte. »Wer … wer bist du?«, stammelte er, kaum je in
Verlegenheit, wenn es um markige Worte oder Drohgebärden ging. »Was zum … was willst
du von mir?«
    Im Begriff, die Frage zu wiederholen, ließ Tuchscherer
von seinem Vorhaben ab. Das alles war so unwirklich, so bizarr, dass es sich nur
um ein Traumgebilde handeln konnte. Um ein Hirngespinst, das er sich selbst und
seinem Hang zum Saufen verdankte.
    Ja genau so war es. So musste es einfach sein.
Wäre da nicht die Erinnerung gewesen, die ihn mit eisernem Griff an der Gurgel packte,
ihm die Luft abschnürte, seine Widerstandskraft lähmte. Tuchscherers Atem beschleunigte
sich, und siehe da, plötzlich stieg ein vergessen geglaubtes Bild in ihm auf. Eine
Gestalt, die derjenigen vor ihm zum Verwechseln ähnlich sah. Bleich vor Entsetzen
stöhnte der Erzhalunke auf. Schwarzer Umhang, Kapuze, blaues Kleid. Fragile Statur.
Silbernes, mit Schraffierungen versehenes Kruzifix. Halbschuhe aus Ziegenleder.
    Verwechslung ausgeschlossen.
    Erst recht nicht, als sein Gegenüber die Kapuze
zurückschlug, den Blick hob und ihm mit starrem Blick den Tiegel darbot, welchen
es bis dato an die Brust gepresst hatte.
    Immer noch wie in Trance, ließ Tuchscherer die
Laterne aus der Hand gleiten und griff zu, den Blick auf das wie geschminkt wirkende
Mädchengesicht gelenkt. Circa 14 Jahre alt, langes, bis auf die Schultern

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