Engel der Schuld Roman
könnten ein bißchen Glück brauchen«, sagte Mitch.
»Wenn ich da oben Einfluß hätte, wären wir nicht hier.« Den Blick auf Hannah und Josh gerichtet, durchquerte er das kleine Schlafzimmer, beugte sich zu Hannah und murmelte ihr etwas ins Ohr.
»Was glauben Sie?« fragte Ellen North und wich zurück in den Gang. Mitch ging ihr hinterher. Er spürte, daß Wilhelm folgte, und wünschte, Megan wäre an dessen Stelle hier.
»Hannah sagt, sie hätte Josh keinen wachen Moment lang aus den Augen gelassen, seit er zurück ist. Niemand hätte ihm das Ding geben können, ohne daß sie es gesehen hätte. Und Josh hat seinen Rucksack auch nicht aus den Augen gelassen, also . . .«
»Jemand ist mitten in der Nacht ins Haus gekommen und hat das Ding in Joshs Rucksack gesteckt? Ohne Hannahs Wissen?« fragte sie. »Das scheint mir ziemlich weit hergeholt.«
»Wright ist wieder zu Hause, nur eine Straße weiter«, sagte Wilhelm. »Er würde nie riskieren, in die Nähe dieses Hauses zu kommen«, sagte Mitch bestimmt. »Aber wir werden eine Liste von allen brauchen, die in den letzten Tagen hier waren.«
»Der Junge ist der Schlüssel«, sagte Wilhelm. »Er hat die Antworten auf all unsere Fragen in seinen Kopf gesperrt. Ich sage, wir probieren es mit Hypnose.«
Mitch sah zu Ellen. »Würde etwas, das unter Hypnose aufgedeckt wird, vor Gericht als Beweis zugelassen werden?«
»Es wäre ein Kampf. Die Verteidigung würde sich mit aller Macht dagegen wehren. Im allgemeinen werden die Zeugenaussagen kleiner Kinder als nicht sehr zuverlässig betrachtet. Kinder sind sehr leicht beeinflußbar, man kann ihnen Ideen einpflanzen, bewußt oder unbewußt. Aber wenn Josh etwas enthüllen würde, das uns auf die Spur von Dustin Holloman bringt, oder wenn er uns sagen kann, wer der Komplize ist, wenn er uns auf greifbare Beweise stoßen könnte, dann wäre es die Sache sicher wert, ob sie nun zulässig ist oder nicht.«
Mitch wägte das Für und Wider ab. »Ich werde mit Hannah darüber reden.«
»Haben Sie sonst noch etwas in dem Rucksack gefunden?« fragte Ellen.
»Es liegt alles im Speisezimmer.«
Der Rucksack lag offen da, die herausgezogenen Gegenstände waren über den Kirschholztisch verstreut wie die Eingeweide eines ausgeschlachteten Tieres. Traurigkeit ergriff Ellen, als sie die Sachen ansah, die Josh zusammengepackt hatte, als hätte er Angst, man könnte ihn wieder entführen, ohne daß er ein paar vertraute Dinge bei sich hatte. Da waren einige kleine, offensichtlich gut gehütete Spielzeuge und ein Pfadfindermesser. Eine Taschenlampe, um die Dunkelheit abzuwehren. Ein Walkie-Tal kie, um zu Hause anzurufen. Eine Kinderzahnbürste mit einem Ninja-Turtle auf dem Griff. Ein Schnappschuß von seiner Mutter und seiner kleinen Schwester bei der Taufe des Babys – Josh, in der Miniaturausgabe eines blauen Anzugs, die Haare streng zurückgekämmt, hielt mit einem stolzen Grinsen das Baby.
»Armer Junge«, murmelte Wilhelm und strich mit dem Finger über die Naht eines alten, grasfleckigen Baseballs.
»Als ob sein Leben nicht schon schlimm genug wäre«, knurrte Mitch, »jetzt müssen wir noch ins Haus kommen und das bißchen Privatsphäre, das er hat, verletzen.«
Ellen starrte hinunter auf das Ringbuch. Joshs New Think Pad. To Josh From Mom. Ein sorgfältig gezeichnetes Herz bekräftigte das mütterliche Gefühl. Mitch hatte recht. Es war, als würden dreckige Hände in Joshs Kindheit wühlen und sie für immer besudeln. Diese Dinge waren sein privater Besitz, Stücke seiner Kindheit. Und sie würden den Glanz der Unschuld von ihnen reiben und sie Beweise nennen.
Sie zog einen schmalen Stift aus ihrer Tasche und benutzte ihn, um den Deckel des Buches anzuheben. Es war eine alte Gewohnheit, um zu vermeiden, Fingerabdrücke auf potentiellem Beweismaterial zu hinterlassen, aber im Unterbewußtsein war es auch eine Vorsichtsmaßnahme, um dem Buch keine noch intimere Berührung zuzumuten. Es war ein besonderes Geschenk einer Mutter an ihren Sohn gewesen. Keiner sonst sollte es berühren, niemals.
Sie wußte, was sie finden wollte: die Namen von Joshs Entführern, Zeichnungen von dem Ort, an dem sie ihn festgehalten hatten. Was sie fand, waren kleine seltsame Bilder von schwarzen Vierecken und traurigen Gesichtern und dünne Wellenlinien. Auf eine Seite hatte er geschrieben Als ich ein Kaputter war, und unter den Worten bildeten winzige Punkte Augen und einen Mund. Keine Eingeständnisse, keine Enthüllungen, nur die
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