Engel der Schuld Roman
sich auf den Rücken zu drehen. Ellen biß ihn in die Finger, Blut troff aus seiner Gesichtswunde in ihre Augen, lief ihre Wange hinunter. Mit einem Ruck drehte sie sich unter ihm weg und schwang den Hefter gegen seine Schläfe und sein Jochbein, daß sein Kopf zur Seite flog. Sie nutzte seine Benommenheit aus, um sich freizurollen.
Sie rappelte sich hoch und begann zu rennen, doch zu spät wurde ihr klar, daß sie in die falsche Richtung lief – vom Büro des Sheriffs weg. Jetzt mußte sie zuerst ins Erdgeschoß gelangen und dann wieder zurücklaufen.
Slater holte sie an der Treppe ein, kriegte ihren Mantelkragen und eine Handvoll Haare zu fassen und riß sie fast vom Boden hoch. Er hob die Schockwaffe, Ellen blockierte den Schlag mit ihrer Schulter. Die Waffe gab ein zorniges, knisterndes Summen von sich. Keine Kampfspuren, hatte er versprochen. Wenn er sie beim ersten Mal getroffen hätte, wäre es so gewesen. Der Stromstoß hätte sie bewußtlos gemacht, und er hätte ihr schnell und mühelos die Pulsadern aufschlitzen können.
Ihr linker Arm war zwischen ihren Körpern eingekeilt. Ellen packte Slaters Hoden und drückte, so fest sie konnte, zu. Ein Jaulen durchbohrte ihr Trommelfell, er stieß sie weg, krümmte sich, hielt sich die Genitalien. Ellens Schienbeine knallten auf die Stufen, sie stützte sich mit den Händen ab. Der Hefter klapperte die Treppe hinunter.
Nach oben.
Schei ß e. Keine Wahl. Erst laufen, sp ä ter nachdenken.
»Zeit zu sterben, Geburtstagsschlampe.«
Geburtstag Sechsunddreißig. Der Geburtstag, den Ellen so gefürchtet hatte. Mit einem Mal schien sechsunddreißig viel zu jung.
Sie stürmte die Treppe hoch, stolperte, als sie sich mit dem Absatz an der Treppenkante verfing. Sie griff hastig nach dem Geländer, ihre Finger rutschten über den rauhen Wandverputz, ein Nagel brach ab, Haut schürfte sich von ihren Knöcheln.
Es gab kaum Licht im Treppenhaus, nur Fetzen von Beleuchtung, die sich aus den Korridoren oben und unten dorthin verirrten. Sicherheitsbeleuchtung, die keinerlei Sicherheit bot. Im Hinterkopf meldete sich eine leise, rauchige Stimme. Ihr Bo ß sollte dringend mal mit jemandem ü ber Sicherheit reden. Das ist ein h ö chst explosiver Fall. Da k ö nnte alles m ö gliche passieren.
Sie erreichte den zweiten Stock und bog in den Korridor ein. Wenn sie es die Osttreppe hinunter schaffen würde . . . Wenn sie es bis zu dem Durchgang zwischen den Gebäuden schaffen würde . . . Er würde es nicht wagen, sie im Durchgang anzugreifen, wo das Büro des Sheriffs nur ein paar Meter entfernt war.
»Jetzt haben wir dich, Schlampe!«
Es gab Telefone in den Büros, an denen sie vorbeirannte. Die Büros waren abgeschlossen. Ihr selbsternannter Mörder joggte lachend hinter ihr her. Der Klang durchbohrte sie wie eine Lanze, wie die Überzeugung, daß er sie töten würde. Eine Verfolgungsjagd war vielleicht nicht Teil seines Plans gewesen, aber sie war zu einem Teil des Spiels geworden.
Das Spiel. Dessen Irrsinn fast so beängstigend war wie die Aussicht zu sterben. Das System schlagen. Leben ruinieren. Leben beenden. Nichts Persönliches. Nur ein Spiel.
Sie rannte an Richter Grabkos Gerichtssaal vorbei und duckte sich hinter die Ecke, die zurück zum südöstlichen Treppenhaus führte. Ein Gerüst blockierte das Treppenhaus, schnitt ihr den Fluchtweg ab. Das Gerüst für die Restauratoren. Großer Gott, sie würde wegen eines blöden Stuckreliefs sterben.
»Schachmatt, raffiniertes Luder.«
Die Nordosttreppe schien meilenweit entfernt. Auf halbem Weg stand das Eisentor, das den Verbindungsweg zwischen dem Gerichtsgebäude und dem Gefängnis blockierte. Sie stürzte zu dem Feuermelder an der Wand, packte das Glasrohr, das zerbrechen und Hilfe herbeirufen würde.
Das Rohr zerbrach. Nichts. Kein Geräusch. Kein Alarm.
»O Gott, nein!« Die verfluchten Renovierungsarbeiten. Ein neues Alarmsystem, das eingebaut wurde. Das neueste auf dem Markt.
»Komm schon, Ellen. Sei ein braves Luder, und laß dich umbringen.« Sie packte den Griff der Tür, hinter der der Feuerwehrschlauch hing, und riß daran.
»Du mußt sterben, Luder. Wir müssen das Spiel gewinnen.«
Seine Hand packte ihren Arm.
Ihre Finger packten den Schaft der Axt.
Er warf sich gegen die Tür und knallte sie zu, brach einen Knochen in ihrem Handgelenk. Ellen schrie auf, der Schmerz ließ sie in die Knie gehen.
Schluchzend, den gebrochenen linken Arm schützend an die Taille gedrückt, kniete sie vor ihrem
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