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Engel der Schuld Roman

Titel: Engel der Schuld Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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Farns, der den Fenstersims ausfüllte. »Der Richterstuhl war sein Leben. Und jetzt ist er weg. Einfach so.«
    Sie strich sich eine Träne von der Wange, ohne Scham, daß sie von einem Fremden gesehen wurde. Ein guter Mann hatte gerade sein Leben gelassen. Es war keine Schande, das zu betrauern.
    Trotzdem holte sie Luft, sammelte sich und wandte sich mit
    würdevoller Haltung Jay zu.
    »Danke für Ihre Hilfe.«
    Er wehrte mit gerunzelter Stirn ab. »Ich brauche keinen Dank. Mein Gott, meine Anwesenheit hat den Vorfall zu einem Zirkus gemacht. Tut mir leid, daß das passiert ist.«
    »Mir auch«, sagte Ellen. »Er hatte einen würdevolleren Tod verdient, obwohl ich ihn mehr als einmal habe sagen hören – er wolle am Richtertisch sterben.« Sie zog wieder die Schultern hoch und versuchte, sich hinter ihrem Zynismus zu verschanzen. »Ihm wurde sein Wunsch erfüllt, und Sie haben Ihre Publicity gekriegt. Kein schlechter Handel, wenn man es so betrachtet.«
    »Ich bin nicht wegen der Publicity hier.«
    »Nein. Sie sind wegen der Story hier.«
    Er richtete sich vom Schreibtisch auf und durchquerte langsam das Zimmer. Sein Blick war prüfend, abschätzend. Das Gefühl, das er in ihr auslöste, war beunruhigend, aber Ellen gestattete sich nicht, sich dem zu entziehen. Die Rolle, in die sie vor den Sci-Fi Cowboys geschlüpft war, fiel ihr wieder ein – zeige keine Angst. Jay Butler Brooks war keine körperliche Bedrohung für sie, aber er war in anderer Hinsicht eine Bedrohung, eine klare, präsente Gefahr – für ihr berufliches und ideologisches Gleichgewicht . . .
    Sie wußte, daß sie einen Aspekt ausgelassen hatte, als er eine Handbreit zu nahe vor ihr stehenblieb. Seine Augen funkelten silbrig im farblosen Licht, das durch das schmale Fenster fiel.
    »Sind Sie in Ordnung?« fragte er leise.
    Ihr Haar hatte sich aus dem Knoten gelöst, als sie versucht hatte, den Richter wiederzubeleben. Strähnen fielen über ihre Wangen, und er fragte sich, wie sie wohl aussehen würde, wenn es ganz offen war. Jünger, sanfter, verletzlicher – lauter Attribute, die zu ihrem beruflichen Image paßten. Ihre Gelehrtenbrille hatte sie abgelegt, auch die Jacke ihres anthrazitfarbenen Kostüms. Der oberste Knopf ihrer properen weißen Bluse war offen und gestattete ihm einen Blick auf die zarte Kuhle, wo ihr Hals ins Schlüsselbein überging. Die Rüstung war in Auflösung begriffen. Ganz offensichtlich konnte sie nicht entscheiden, wer sie in diesem Augenblick sein wollte – Ellen North, der Inbegriff der Professionalität, oder Ellen North, die Frau.
    Eine willkommene Gelegenheit für ihn. Der Grund, warum er geblieben war, als die Sanitäter ihre Sachen eingesammelt und den Reißverschluß am Leichensack des alten Franken geschlossen hatten, redete er sich ein. Damit er es ausnutzen konnte, daß sie aus dem Gleichgewicht geraten war. Damit er einen Blick auf etwas erhaschen konnte, das sie ihm ansonsten nie gezeigt hätte.
    Du bist vielleicht ein Kerl, Brooks. König der Arschlöcher.
    »Ich bin in Ordnung«, verkündete sie, obwohl es ganz und gar nicht stimmte. Die Hand, die sie hob, um die losen Strähnen hinters Ohr zu streichen, zitterte.
    »Mir scheint, Sie könnten einen Drink vertragen. Ich jedenfalls brauche einen«, sagte er. »Das ist mir noch nie passiert, daß ein Richter vor meiner Nase tot umfällt – obwohl ich zugeben muß, daß ich es mir ein paarmal gewünscht habe.«
    »Ach ja. Sie haben ja als Anwalt praktiziert, bevor Ruhm und Reichtum bei Ihnen einkehrten.«
    Er hob die Schultern, ignorierte ihre beißende Ironie. »Ich habe meine Zeit als kleiner Assistent absolviert, bin hinter ein paar Krankenwagen hergejagt, habe ein bißchen von diesem und ein bißchen von jenem probiert, wobei ein ›bißchen‹ das entscheidende Wort war – wenn man meiner Exfrau glauben darf. Sie muß die erste Anwaltsfrau der Geschichte gewesen sein, die tatsächlich wollte, daß ihr Mann achtzig Stunden die Woche arbeitet.«
    Selbst jetzt noch hatte er Christines Kritik im Ohr. Sie hatte eine Furche in sein Gedächtnis gegraben. Wie Wasser, das den Stein höhlt, machten die Jahre sie nur tiefer. »Warum kannst du nicht härter arbeiten? Warum bist du noch nicht Juniorpartner? Warum willst du dich nicht der Familienkanzlei anschließen? Du wirst es nie zu etwas bringen.«
    »Na ja, am Ende haben Sie's ihr ja heimgezahlt«, sagte Ellen. » Gerechtfertigter Mord – ein überarbeiteter junger Anwalt wird mit falschen Beweisen des

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