Engel der Verdammten
deutlich hervor.
Nach geraumer Zeit warf er mir ein absolut strahlendes, jun-genhaftes Lächeln zu. »Dir geht es wieder gut, Jonathan. Du bist fieberfrei.« Er lachte.
»Ja«, stimmte ich zu. In meinen Sessel zurückgelehnt, genoß ich die trockene Wärme des Raumes, den Duft der brennenden Eichenscheite. Ich leerte den Kaffeebecher so weit, dass ich den Kaffeesatz zwischen den Zähnen spürte, dann stellte ich ihn auf dem Rand der kreisrunden Feuerstelle ab. »Darf ich aufzeichnen, was du mir erzählst?«, fragte ich.
Wieder leuchtete sein Gesicht auf. Mit dem Enthusiasmus eines Knaben beugte er sich in seinem Sessel vor, die kräftigen Hände auf den Knien. »Würdest du das tun? Würdest du auf-schreiben, was ich erzähle?«
»Ich habe einen Apparat, der sich jedes Wort merkt.«
»O ja, ich weiß, was du meinst.« Er lächelte zufrieden und legte den Kopf in den Nacken. »Du musst nicht denken, ich sei ein etwas schwachsinniger, verwirrter Geist, Jonathan.
Schwachsinnig war der ›Hüter der Gebeine‹ nie. Man hat mich dereinst zu einem sehr machtvollen Geist gemacht, das, was die Chaldäer wohl einen Dschinn nannten. Einmal als Geist erstanden, wusste ich alles, was man nur wissen konnte - über die Epoche, die Sprachen, die Eigenarten aller Länder nah und fern -, alles was ich wissen musste, um meinem Meister dienen zu können.«
Ich unterbrach ihn. »Lass mich zuerst den Recorder aufstel-len«, bat ich.
Es war herrlich aufzustehen, ohne dass es sich in meinem Kopf drehte, ohne dass es in meiner Brust schmerzte und oh-ne die verschwommene Sicht, die das Fieber erzeugt.
Ich stellte zwei Geräte auf, was ich mir angewöhnt hatte, seit mir durch einen nicht funktionierenden Recorder einmal Aufzeichnungen verloren gegangen waren. Ich überprüfte die Batterien, kontrollierte, ob der Rand der Feuerstelle nicht zu heiß für die Geräte war, dann legte ich eine Kassette ein und sagte: »Erzähle.«
Ich drückte die Aufnahmeknöpfe, um die beiden kleinen elektronischen Ohren zum Leben zu erwecken. »Und ich möchte Folgendes voranstellen: Du scheinst mir ein junger Mann zu sein, nicht älter als zwanzig. Deine Brust und deine Arme sind mit dunklem, kräftigem Haar bedeckt, deine Haut ist olivbraun, und dein Kopfhaar glänzt so gesund, dass es den Neid jeder Frau erwecken könnte.«
»Oh, sie berühren es gern«, sagte er mit einem aufreizenden Lächeln.
»Und ich vertraue dir«, sprach ich in den Recorder. »Ich vertraue dir, du hast mir das Leben gerettet. Ich traue dir, obwohl ich nicht weiß weshalb, denn ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie du dich in einen anderen Mann verwandelt hast. Wahrscheinlich werde ich bald glauben, ich hätte das alles nur geträumt. Ich habe gesehen, wie du verschwunden und gleich darauf wieder aufgetaucht bist. Auch das werde ich sicher bald nicht mehr wahrhaben wollen. Und doch möchte ich auch dies festgehalten wissen, durch den Schriftgelehrten, durch Jonathan.
Nun können wir mit deiner Geschichte beginnen, Asrael. Vergiss diesen Raum, diese Zeit. Fang für mich bitte ganz von vorn an. Erzähle mir, was ein Geist alles weiß, wie ein Geist entsteht, woran ein Geist sich angesichts alles Lebendigen erinnert. Aber nein ...« Ich brach ab, ließ das Band zurücklau-fen. »Das war alles ganz falsch, der größte Fehler überhaupt.«
»Was für ein Fehler?«, fragte er.
»Du willst etwas erzählen, also solltest auch du allein sprechen.«
»Mein freundlicher Lehrer, wir sollten etwas zusammenrücken.
Schiebe die Sessel dichter nebeneinander, und stelle die Recorder näher zu uns, sodass wir nicht so laut sprechen müssen. Aber es macht mir nichts aus, auf deine Art zu beginnen.
Ich möchte es sogar. Ich will, dass alles offenbar wird, wenigstens für uns beide.«
Wir setzten uns seinem Vorschlag entsprechend nieder, sodass die Lehnen unserer Sessel zusammenstießen. Ich machte eine Bewegung, als wolle ich seine Hände ergreifen, und er zog sie nicht zurück. Sein Handschlag war fest und warm. Und als er wiederum lächelte, ließ die Bewegung seiner Brauen dies fast schelmisch erscheinen. Doch das lag nur an seinem Gesichtsschnitt - an diesen Brauen, die sich an ihrem Schei-telpunkt wie drohend senkten, um dann, bevor sie sich über der Nasenwurzel trafen, sanft zur Stirn emporzuschwingen.
Solche Augenbrauen geben ihrem Besitzer den Anschein, als schaue er von einem geheimnisvollen Beobachtungspunkt auf uns herab, und sie lassen ein Lächeln um so
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