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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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seine Taschen vergraben. Seine Haut war ein wenig durchkühlt von der Kälte draußen, im Raum selbst war es erstickend heiß. Mir schien, dass er log und gleichzeitig die Wahrheit sagte.
    Ich nahm die Gerüche, die die beiden verströmten, auf wie Nahrung, achtete nicht auf diese alten, vertrauten Gerüche wie den Duft von Wachs oder Pergament, ich roch die Männer -
    die warme lebendige Haut des alten Mannes, die so hell und fein war, frei von Krankheit und wie Seide vom Alter, rein wie die Knochen unter seiner Haut, die nun zweifellos so spröde waren, dass sie beim leichtesten Stoß brachen. Der junge Mann war makellos, den Poren seiner Haut, den gelockten Haaren und den teuren Kleidern entströmte ein subtiler Duft, eine raffinierte Mischung edelster Aromen. Der Duft eines modernen Herrschers.
    Ich rückte näher an den Jüngeren. Ich war nun vielleicht zwei Fuß von ihm entfernt, links hinter ihm. Ich sah sein Profil. Dichte Augenbrauen, glatt und ordentlich gebürstet und gezupft, feine Gesichtszüge, gut proportioniert; wir hätten ihn früher gesegnet genannt. Er hatte weder Narben noch sonstige Un-regelmäßigkeiten. Irgendetwas war an ihm, das ich nicht defi-nieren konnte, das ihn über andere hinaushob und seine Macht stärker wirken ließ. Wenn er lächelte, wie jetzt gerade dieses traurige, beschwörende Lächeln, sah man seine strahlend weißen Zähne.
    Er hatte große Augen, wie Esther, doch nicht so schön. Nun hob er die Hände, kleidete seine Bitte in eine andere Form, still, unauffällig. Er hatte elegant geformte Finger, und die Glät-te seiner Wangen wirkte exquisit. Er hatte sich - wie auch Esther - mit Sorgfalt ernährt, als habe ihm immer die ganze Welt zur Verfügung gestanden. Fehlte ihm überhaupt irgendetwas?
    Ich fand an ihm keine Mängel, keine Wunden, keinen Bruch in seiner Ausstrahlung, nur diese undefinierbare Überhöhung.
    Dann endlich merkte ich, was es war. Er hatte die glatte Schönheit eines Jünglings, obwohl er schon die Fünfzig überschritten hatte! Wie sehr das doch blendete. Wie wunderbar seine körperlichen Vorzüge durch sein Alter noch betont, der Glanz seiner Augen noch verstärkt wurde.
    ›Rede mit mir, Gregory Belkin«, sagte inzwischen der alte Mann verächtlich, ›und sage mir, warum du gekommen bist, oder verlass mein Haus auf der Stelle.‹
    Wieder irritierte mich der Groll des Alten.
    ›Gut, Rebbe‹, antwortete der Jüngere, als seien der Ton und das Benehmen nicht neu für ihn.
    Der alte Mann wartete.
    ›Ich habe einen Scheck in der Tasche, Rebbe‹, sagte Gregory.
    ›Ich bin gekommen, um ihn dir zu überreichen, zum Wohl deiner Gemeinde.‹
    Ich wusste, dass er damit die Hebräer meinte, für die der alte Mann der Rabbi, der Zaddik, der Anführer war.
    Bilder blitzten in mir auf wie scharfkantige Glasscherben - Bilder von meinem lang dahingeschiedenen Gebieter Samuel.
    Doch sie bedeuteten mir nichts, und ich schob sie beiseite.
    Vergiss nicht, dass ich mich zu dem Zeitpunkt überhaupt noch nicht wieder an meine Vergangenheit erinnern konnte. Doch ich wusste diesen alten Mann einzuschätzen - er war vereh-rungswürdig, mit einer Art heiliger Kraft versehen, vielleicht ein Magier; doch wenn er einer war, wieso hatte er meine Gegenwart nicht gespürt?
    ›Du hast immer einen Scheck für uns dabei, Gregory‹, sagte der Alte jetzt. ›Deine Schecks erreichen die Bank auch ohne dich. Wir nehmen das Geld im Angedenken an deine tote Mutter, an deinen verstorbenen Vater, der mein geliebter Sohn war. Wir nehmen dein Geld, weil es Gutes tut für die, die deine Mutter und dein Vater einst geliebt haben. Geh du zurück zu deinem Tempel. Geh zurück zu deinen Computern, zu deiner weltumspannenden Kirche. Geh nach Hause, Gregory. Tröste deine Frau. Ihre Tochter ist ermordet worden. Trauere mit Rachel Belkin. Hat sie nicht wenigstens darauf ein Recht?‹
    Der junge Mann nickte leicht, als wolle er sagen, aha, das sieht nicht nach einer positiven Entwicklung aus, und dann legte er den Kopf auf die Seite und zog respektvoll die Schultern hoch, als er sagte:
    ›Ich brauche etwas von dir, Rebbe.‹ Das kam direkt, aber flüssig.

    Der alte Mann hob die Hände und zuckte die Achseln. Er rühr-te sich ein wenig im Lampenlicht und seufzte. Für sein Alter hatte er volle Lippen. Ein leichter Schweißfilm zeigte sich auf seiner Stirn.
    Hinter ihm standen weitere Bücherborde. Der Raum war derart mit Büchern gefüllt, dass die Bücher das Baumaterial zu sein

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