Engel der Verdammten
schienen.
Ausladende Sessel waren dick mit Leder gepolstert, und auch um sie türmten sich Bücher. Und es gab Schriftrollen und in Sackleinen gewickelte Rollen aus Leder.
Man kann alte Thorarollen nicht einfach verbrennen. Man muss sie dem Brauch entsprechend vergraben oder an einem Ort wie diesem aufbewahren.
Wer weiß, was dieser alte Mann von weither mit sich gebracht hatte? Sein Englisch war nicht klar und akzentuiert wie das Gregorys, sondern hatte einen Anflug von anderen Sprachen.
Polen. Ich sah Polen, sah Schnee.
Gregory schob die linke Hand in seine Tasche. Da war der Scheck, dieser Papierfetzen, die Bankanweisung, die Gabe, die er so dringend loswerden wollte. Ich hörte es knistern, als seine Finger daran stießen. Der Scheck steckte zusammenge-faltet direkt neben dem Schießeisen.
Von dem Alten kam kein Wort.
›Rebbe, als ich noch klein war‹, sagte Gregory, ›da hörte ich dich eine Geschichte erzählen. Ich habe sie nur einmal gehört, doch ich kann mich gut daran erinnern. Ich weiß die genauen Worte.‹
Der alte Mann antwortete nicht. Die Runzeln seiner Haut glänzten im Licht. Als er seine weißen Augenbrauen hochzog, bewegten sich seine Stirnfalten mit in die Höhe.
›Rebbe‹, sagte Gregory, ›du hast damals meiner Tante gegenüber von einer Legende gesprochen, einem Geheimnis ...
einem von der Familie gehüteten Schatz. Ich bin gekommen, weil ich von dir etwas darüber wissen will.‹
Der alte Mann war überrascht. Nein. Doch nicht. Er war nur erstaunt darüber, dass die Worte des Jüngeren sein Interesse weckten.
Einen Moment ließ er die Stille wirken, dann sprach er Jiddisch, wie am Anfang der Unterhaltung.
›Ein Schatz? Du und dein Bruder, ihr wart der Schatz eurer Eltern. Wie kommst du dazu, extra nach Brooklyn zu kommen, um von mir Geschichten über Schätze zu hören? Schätze hast du doch mehr, als jeder Mensch sich erträumen kann.‹
›Ja, Rebbe‹, sagte Gregory geduldig.
›Ich höre, deine Kirche schwimmt derart in Geld, dass deine auswärtigen Missionsstationen luxuriöse Ferienorte für die Reichen bieten, die dorthin kommen und den Armen geben.
So ist es doch. Und ich höre, dass dein Privatvermögen das deiner Frau oder deiner Tochter noch in den Schatten stellt.
Ich höre, dass kein Mensch auf den Pfennig genau sagen kann, was du besitzt und über was du gebietest.‹
›Ja, Rebbe‹, sagte Gregory abermals, immer noch geduldig, und fuhr auf Englisch fort: ›Ich bin so reich, wie man sich nur vorstellen kann, und ich weiß, du willst es dir gar nicht vorstellen oder darauf herumreiten - oder davon profitieren ...‹
›Nun, dann komm endlich zur Sache‹, sagte der Alte auf Jiddisch. ›Du verschwendest meine Zeit. Du verschwendest die kostbare Zeit, die mir noch bleibt und die ich lieber nutzen möchte, um Wohltaten zu tun, als um jemanden zu verdam-men. Was willst du?‹
›Du hast von einem Familiengeheimnis gesprochen«, sagte Gregory. ›Rebbe, bitte sprich Englisch mit mir.‹
Der alte Mann lächelte höhnisch.
›Und was habe ich gesprochen, als du noch ein kleiner Junge warst?‹, fragte er wiederum m Jiddisch. ›Sprach ich da Jiddisch oder Polnisch, oder etwa auch Englisch?‹
›Ich weiß nicht mehr‹, sagte der Jüngere. ›Aber ich wünschte, du sprächest jetzt Englisch.‹ Er zuckte abermals die Schultern, und dann sprach er sehr schnell: ›Rebbe, ich trauere um Esther. Sie kaufte diese Diamanten nicht mit meinem Reichtum.
Und sie trug sie auch nicht meinetwegen so unbedachtsam offen zur Schau. Es war nicht meine Schuld, dass diese Diebe sie hinterrücks erwischten.‹
Diamanten? Da stimmte etwas nicht. Esther hatte keine Diamanten getragen. Sie war von den Eval-Brüdern nicht beraubt worden. Doch Gregorys Zunge stockte hier ebenso wenig wie bei seinen vorherigen Worten.
Wie er seine Rolle spielte. Und wie durchdringend ihn der alte Mann betrachtete.
Er zog sich ein ganz klein wenig zurück, als hätten die mit solcher Festigkeit geäußerten Worte ihn zurückgestoßen, ihn vielleicht ein wenig verärgert. Er musterte den Jüngeren prü-
fend.
›Du verstehst nicht, was ich meine, Gregory‹, sagte er, jetzt Englisch sprechend. ›Ich rede nicht von deinem Reichtum oder davon, was sie um ihren Hals trug, als sie sie umbrach-ten. Ich rede davon, dass du deine Tochter getötet hast. Du hast sie ermorden lassen.«
Schweigen.
Im Dämmerlicht des Raumes waren meine Hände vor dem Hintergrund der Bücher deutlich sichtbar, ich
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