Engel der Verdammten
›halte Gregory auf, halte diese Sekte auf.
Er ist das, was man einen charismatischen Führer nennt. Er ist schlecht. Laboratorien! Ich mag das nicht. Und diese Sekten, diese Sekten haben schon Leute getötet, sie töten ihre eigenen Mitglieder.‹
›Ich weiß‹, antwortete ich. ›Das war nie anders, nie.‹
›Aber Nathan, Nathan ist völlig unschuldig‹, fuhr sie fort. ›Ich kann mich an seine Stimme erinnern, er hat eine so schöne Stimme, und ich dachte daran, was Esther gesagt hatte, dass sie in ihm den Mann sah, der Gregory hätte sein können. So war seine Stimme ...‹
›Ich werde ihn suchen und dafür sorgen, dass er in Sicherheit ist‹, versprach ich. ›Er wird mir sagen, was er weiß, was er gesehen hat.‹
›Der alte Mann, ist er wirklich so schrecklich?‹
›Heilig und alt‹, murmelte ich achselzuckend.
Sie lachte ein kleines entzückendes Lachen. Es war so wundersam, das zu hören. Ich beugte mich nieder und küsste ihre Lippen. Sie waren trocken, und ich richtete sie vorsichtig auf und gab ihr noch einmal zu trinken.
Sie legte sich wieder hin und sah mich an, erst nach und nach wurde mir klar, dass ihr Gesicht völlig ausdruckslos war, nur eine Maske für ihre Schmerzen, und die waren überall. Ihre Lunge, ihr Herz, ihre Knochen schmerzten sie. Ihr ganzer Körper war ein einziger Schmerz. Die betäubenden Medikamente, die sie in New York bekommen hatte, wirkten nicht mehr, und ihr Herz war sehr schwach. Ich legte meine Hände schützend um die ihren.
Dann kam wieder dieser Lärm, das Läuten der Glocke und ein surrender Alarmknopf, es klingelte nun im ganzen Haus. Ich hörte das Geräusch eines Motors, es kam vom Aufzug-schacht.
›Kümmere dich einfach nicht darum‹, murmelte sie, ›niemand kann hier hereinkommen.‹ Aber sie versuchte, die Decken wegzuschieben.
›Was ist?‹, fragte ich.
›Hilf mir, ich will aufstehen. Gib mir etwas Wärmeres zum An-ziehen, da, das schwere seidene Teil, bitte.‹
Ich reichte ihr den Morgenmantel, auf den sie gezeigt hatte, und sie zog ihn über, aber sie zitterte unter dem Gewicht des mit Zierrat überladenen Stoffs.
Jetzt erklang Lärm draußen vor der Eingangstür.
›Bist du sicher, dass sie nicht hereinkönnen?‹
›Du musst doch niemanden fürchten, oder?‹, fragte sie.
›Nein, ganz bestimmt nicht! Aber ich will nicht, dass sie ...‹
›Ich weiß ... mir meine Sterbestunde vermasseln‹, sagte sie.
›Ja.‹
Sie war bleich wie das Laken, und ich sagte ängstlich: ›Du wirst gleich zusammenbrechen.‹
›Ich weiß, aber ich falle, wo es mir passt. Hilf mir aus dem Zimmer, ich möchte auf das Meer hinausblicken.‹
Ich hob sie einfach auf und trug sie hinaus auf den Balkon, der nach Osten zeigte. Die Türen öffneten sich nicht auf die Bucht hin, sondern direkt aufs Meer hinaus. Mir wurde bewusst, dass dieses gleiche Meer an die Ufer Europas spülte, an die Stran-de der untergegangenen griechischen Städte, auf den Strand Alexandriens. Hinter uns hörte man hämmernde Geräusche, und ich schaute mich um: Der Lärm kam aus der Kabine des Aufzugs, doch die Tür blieb geschlossen.
Eine leichte Brise wehte über die Terrasse, die Fliesen unter meinen Füßen fühlten sich kühl an. Rachel schien das zu gefallen, sie lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter und ließ ihren Blick über die dunkle See schweifen. Ein großes Schiff, von Lichtern hell erleuchtet, glitt am Horizont vorüber und bot zusammen mit den sich auftürmenden Wolken einen kinorei-fen Anblick.
Ich hielt sie in meinem Arm und stützte sie, aber als ich sie aufheben wollte, sagte sie: ›Nein, lass, ich möchte so stehen bleiben.‹ Sie befreite sich sanft von mir, legte ihre Hände auf die hohe, steinerne Brüstung und schaute nach unten. Dort, sehr tief unten, lag ein Garten, makellos gepflegt, voller Bäu-me und heller Lichter. Große Büschel Trompetenblumen und Pflanzen mit fächerartigen Blättern, und alle bewegten sich leicht in der Brise.
›Da unten ist niemand, oder?‹
›Was?‹
›Ich meine den Garten, er wirkt so versteckt. Nur Blumen sind da unten und jenseits davon das Meer.‹
›Ja‹, stimmte ich zu. Ich hörte, dass die Tür des Aufzugs aufgebrochen wurde.
›Denke an meine Wortes sagte sie. ›Es kann nicht falsch sein, Gregory zu töten. Ich meine das wirklich. Er wird versuchen, dich zu verleiten, dich zu vernichten oder dich für sich zu benutzen. Ich wette darauf, dass er in seinen Gedanken schon längst eine Möglichkeit sucht,
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