Engel der Verdammten
eingerichtet, dass sie fast Gregorys Suite Konkurrenz machten, mit Marmorfliesen auf den Böden, vergoldetem Mo-biliar und geräumigen Bädern mit großen rechteckigen Wan-nen.
Was ich in diesem Gebäude sah, ließ viele Fragen offen, ich hätte noch eine Menge Zeit hier verbringen können.
Aber ich musste sehen, dass ich nach Brooklyn kam. Ich hatte das Gefühl, ich könnte voraussehen, was geschehen sollte.
Und mit Sicherheit war Nathan in Gefahr.
Es war jetzt zwei Uhr. Unsichtbar glitt ich in das Haus des Rabbi. Er lag in tiefem Schlaf, wachte jedoch sofort auf, als ich in den Raum trat. Er wusste, dass ich hier war, und kletterte alarmiert aus dem Bett. Deshalb entfernte ich mich einfach weit von dem Haus, denn es blieb keine Zeit, nach Nathan zu suchen oder nach anderen, mitfühlenderen Familienmitglie-dern. Außerdem wurde ich von Minute zu Minute müder. Ich konnte es nicht wagen, mich in die Gebeine zurückzuziehen, nicht in dem Zustand, in dem ich mich im Augenblick befand, denn ich fürchtete die Schwäche, die meinen Schlaf begleitete, die dazu führen könnte, dass ich Gregorys Befehlen Folge leisten musste oder er mich zur Auflösung bringen könnte oder dass sogar der Rabbi etwas bewirken könnte.
Also kehrte ich zurück nach Manhattan, wo ich im Central Park einen Teich fand, nicht weit entfernt von dem Wolkenkratzer, der dem ›Tempel vom Geiste Gottes‹ gehörte, ich konnte sogar die beleuchteten Fenster sehen. Ich nahm menschliche Gestalt an, kleidete mich in die feinsten Kleider, die ich mir vorstellen konnte - roter Samtanzug, feinstes weißes Leinen-hemd, alle möglichen goldenen Accessoires -, und dann trank ich eine riesige Menge Wasser aus dem Teich. Ich hatte mich an seinen Rand gekniet und schöpfte das Wasser mit den Händen, bis ich meinen brennenden Durst gelöscht hatte. Nun fühlte ich mich wieder stark und mächtig. Ich legte mich unter einen Baum ins Gras, um dort im Freien zu ruhen. Ich befahl meinem Körper, seine feste Gestalt zu behalten und zu erwa-chen, wenn ein Angriff auf ihn erfolge, sei er natürlich oder übernatürlich. Und ich befahl ihm, keinem anderen Ruf als dem meinen zu folgen.
Als ich erwachte, war es acht Uhr morgens nach den Uhren der Stadt, und ich war immer noch heil und ganz und hatte noch alle Kleider am Leibe, und vor allem, ich war ausgeruht.
Wie ich gehofft hatte, sah ich viel zu kräftig aus, als dass sterbliche Herumstreuner einen Angriff gewagt hätten, und viel zu merkwürdig, als dass Bettler sich herangewagt hätten. Wie auch immer, da stand ich, stark und unverletzt, in meinem Samtanzug und den glänzenden schwarzen Schuhen.
Ich hatte also die Stunden des Schlafs in meinem materiellen Körper außerhalb der Gebeine überstanden, und das war ein weiterer Triumph für mich. Ein paar Minuten lang vollführte ich einen Freudentanz im Gras, dann klopfte ich meine Kleidung ab, löste mich mit Hilfe der dazugehörigen Beschwörungen auf und fügte meinen Körper, mit Bart versehen, in Samt gewandet und gereinigt von Grashalmen und Schmutz, im Wohnraum des alten Rabbi wieder zusammen. Den Bart hatte ich nicht gewollt, aber er war, wie auch der Schnurrbart, einfach da, wie zuvor schon einmal. Vielleicht war er ja schon da gewesen, als ich im Park aufwachte. Eigentlich war ich mir dessen sogar sicher. Er war die ganze Zeit über in meinem Gesicht gewesen. Er wollte da sein. Also gut.
Das Haus des Rabbi war ein modernes Gebäude, eng, mit vielen kleinen Zimmern. Es war auffallend, wie konventionell dieses Haus war, wie gewöhnlich möbliert, weder schön noch hässlich, aber gemütlich und von Licht durchflutet. Im Flur warteten Leute, die mich jetzt anstarrten und untereinander zu flüstern begannen. Ein Mann näherte sich mir, und ich sagte ihm, ich müsse auf der Stelle Nathan sehen, dabei sprach ich Jiddisch.
Mir fiel ein, dass ich ja Nathans Nachnamen nicht kannte, ich wusste nicht einmal, ob er hier den Namen Nathan benutzte.
Sein Nachname war sicherlich nicht Belkin. Belkin war ein Name, den sich Gregory ausgedacht hatte. Ich blieb beim Jid-dischen und sagte, dass ich Nathan in einer Angelegenheit sehen müsse, in der es um Leben und Tod gehe.
In diesem Augenblick stieß der Rabbi die Tür zu seinem Arbeitszimmer auf. Er war wütend. Zwei ältliche Frauen standen neben ihm und zwei junge Männer, alle waren sie Chassidim, die Frauen trugen die rituell vorgeschriebenen Perücken über ihrem echten Haar, die jungen Männer hatten
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